Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
Vom Netzwerk:
zurück, als sei plötzlich eine gespaltene Zunge aus seinem Mund hervorgeschnellt.
    »Ich soll Ihnen helfen, meine eigene Arbeit zu umgehen? Sind Sie verrückt?«
    »Ich hatte gehofft«, erwiderte Jean, »dass Sie auf ein Angebot eingehen würden, wenn ich Ihnen den Namen des Besitzers nenne. Möglicherweise hegen Sie keine große Sympathie für ihn.«
    »Wer ist er, und wo steht der Tresor?« »Es ist Requin, und der Tresor befindet sich im Sündenturm.«
    »Bei den Zwölf Göttern, Sie müssen wirklich von Sinnen sein!« Gallardine sah sich im Raum um, als forsche sie nach möglichen Spionen, ehe sie fortfuhr. »Was ich für Requin empfinde, ist unwichtig. Ich denke hier nur an mich! Sehe ich aus wie eine Selbstmörderin?«
    »Meine Börse ist gut gefüllt, Gildemeisterin. Es wird doch bestimmt eine Summe geben, die Ihre Bedenken ausräumt.«
    »Für alles Geld dieser Welt würde ich nicht auf Ihr Ansinnen eingehen, Meister de Ferra«, lehnte die alte Frau ab. »Ihr Akzent kommt mir bekannt vor … Sie stammen aus Talisham, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Und Sie haben Requin ausgeforscht?« »Sogar sehr gründlich.«
    »Blödsinn! Wenn Sie ihn gründlich ausgeforscht hätten, stünden Sie jetzt nicht hier. Ich möchte Ihnen ein klein wenig über Requin erzählen, Sie armer reicher Talishani-Einfaltspinsel. Kennen Sie seine Gefährtin, Selendri? Die Frau mit der Messinghand?«
    »Ich habe gehört, dass sie der einzige Mensch ist, der ihm nahesteht.«
    »Und das ist alles, was Sie wissen?«
    »Äh … mehr oder weniger.«
    »Bis vor wenigen Jahren«, begann Gallardine, »gab Requin an jedem Tag des Wandels im Sündenturm einen großen Maskenball. Ein rauschendes Fest, bei dem die Gäste Kostüme trugen, von denen jedes einzelne mindestens tausend Solari wert war – und Requin trat stets in dem allerprächtigsten auf. Nun, in einem Jahr beschlossen er und seine bildhübsche junge Gefährtin, die Kostüme und die Masken zu tauschen. Einfach aus einer Laune heraus. Ein Meuchelmörder«, fuhr sie fort, »hatte die Innenseite von Requins Kostüm mit irgendeinem teuflischen Pulver bestäubt. Die schwärzeste Sorte von Alchemie, eine Art aqua regia für menschliches Fleisch. Es war nur ein Pulver … es brauchte Schweiß und Wärme, um seine Wirkung zu entfalten. Die junge Frau trug das Kostüm ungefähr eine halbe Stunde lang, bis ihr warm wurde, weil sie sich so gut amüsierte, und sie anfing zu schwitzen. Und dann begann sie zu schreien. Ich war nicht dabei. Aber Bekannte von mir befanden sich unter den Gästen, und sie erzählen, dass sie schrie und schrie, bis ihre Stimme versagte. Danach kam nur noch ein Zischen aus ihrer Kehle, trotzdem versuchte sie immer noch zu schreien. Nur eine Seite des Kostüms war mit dem Zeug präpariert … ein perverser Zug. Ihre Haut schlug Blasen und floss an ihr herunter wie heißer Teer. Ihr Fleisch dampfte, Meister de Ferra. Niemand hatte den Mut, sie anzufassen, bis auf Requin. Er schnitt ihr das Kostüm vom Leib, rief nach Wasser und kümmerte sich wie ein Besessener um sie. Mit seiner Jacke wischte er ihre brennende Haut ab, dann mit Stofffetzen und zum Schluss mit den bloßen Händen. Dabei zog er sich selbst so schwere Verbrennungen zu, dass er bis zum heutigen Tag Handschuhe trägt, um die Narben zu verbergen.« »Erstaunlich«, meinte Jean.
    »Er rettete der Frau das Leben«, erklärte Gallardine. »Man könnte auch sagen, er rettete, was von ihr noch übrig war. Ich nehme an, sie haben ihr Gesicht gesehen. Ein Auge verdampft, wie eine Weinbeere, die man in ein Feuer wirft. Ihre Zehen mussten amputiert werden. Die Finger sahen aus wie verkohlte Zweige, die Hand war völlig zerstört und musste ebenfalls abgenommen werden. Man musste ihr eine Brust abschneiden, Meister de Ferra. Ich versichere Ihnen, Sie können sich nicht vorstellen, was das für eine Frau bedeutet – sogar ich würde mich quälen, wenn ein solcher Eingriff bei mir notwendig würde, und meine Blütezeit liegt schon viele Jahre zurück. Während sie das Krankenlager hütete, sprach Requin mit allen seinen Gangs, seinen Dieben, seinen Kontaktpersonen und seinen Freunden, die der wohlhabenden und einflussreichen Oberschicht angehören. Er setzte eine Belohnung von tausend Solari aus für einen Hinweis auf die Identität des Attentäters – und er sicherte zu, keinerlei Fragen zu stellen. Aber aus Furcht traute sich keiner, diesen speziellen Verbrecher zu verraten, und damals genoss Requin bei Weitem nicht das

Weitere Kostenlose Bücher