Sturm ueber roten Wassern
gleiche Ansehen wie jetzt. Er bekam keine Antwort. In der folgenden Nacht bot er fünftausend Solari, wieder ohne Fragen zu stellen, und noch immer tat sich nichts. In der dritten Nacht erhöhte er die Summe auf zehntausend Solari – ohne Ergebnis. In der vierten Nacht stockte er auf zwanzigtausend auf … und noch immer meldete sich niemand. Doch gleich in der nächsten Nacht begannen die Morde. Wahllos. Die Opfer waren Diebe, Alchemisten, Diener der Priori. Alles Leute, die eventuell Zugang zu nützlichen Informationen hatten. Jeweils ein Mord in einer Nacht, lautlos, absolut professionell. Jedem Opfer wurde an der linken Körperhälfte mit einem Messer die Haut abgeschält. Als Warnung.
Seine Gangs, seine Glücksspieler und seine Bekannten flehten ihn an, damit aufzuhören. ›Bringt mir den Attentäter^ erklärte er, ›und das Morden findet ein Ende.‹ Die Leute verlegten sich aufs Diskutieren, stellten Nachforschungen an und kamen doch immer wieder mit leeren Händen zurück. Also begann er pro Nacht zwei Menschen zu töten. Dieses Mal -Ehefrauen, Kinder, Freunde. Eine seiner Gangs rebellierte, und am nächsten Morgen fand man sämtliche Mitglieder der Bande tot auf.
Jeder Versuch hingegen, Requin auszulöschen, schlug fehl. Bei seinen Banden zog er die Zügel straffer an, und die Ängstlichen hatten nicht mehr lange zu leben. Er tötete und tötete und tötete, bis die ganze Stadt in hellem Aufruhr war und sich an der Suche beteiligte. Man drehte jeden Stein um und trat jede Tür ein, auf den bloßen Verdacht hin, den Attentäter zu finden. Bis es kein schlimmeres Übel mehr gab, als Requin weiterhin zu enttäuschen. Schließlich schleppte man einen Mann vor ihn, den er der Tat überführen konnte.«
Gallardine legte eine kurze Pause ein, seufzte und sprach weiter. »Requin ließ den Mann in einen Holzrahmen stecken und an der linken Seite anketten. Dieser Rahmen wurde mit alchemischem Zement gefüllt, der sich langsam erhärtete. Dann stellte man den Rahmen hin. Die ganze linke Körperhälfte des Mannes steckte von den Zehen bis zum Scheitel in einer Wand. Der Rahmen wurde in Requins Tresorraum gebracht, wo der Attentäter elend krepieren sollte. Jeden Tag ging Requin selbst hinunter und zwang den Mann, Wasser zu trinken. Die eingeschlossenen Gliedmaßen verrotteten, fingen an zu eitern und machten ihn krank. Er starb ganz langsam vor Hunger und an Wundbrand, eingekapselt in das perfekteste und fürchterlichste Folterinstrument, von dem ich in all den langen Jahren, die ich lebe, je gehört habe. Vielleicht verstehen Sie jetzt«, sagte sie, nahm Jean sanft beim Arm und führte ihn zum Fenster der linken Wand, »dass Requin ein Klient ist, dem ich mit absoluter Sicherheit die Treue halten werde, bis die Allergütigste Herrin meine Seele aus diesem Sack voller alter Knochen herausfischt.«
»Aber er braucht es doch nicht zu erfahren.«
»Genauso sicher ist, Meister de Ferra, dass ich dieses Risiko niemals eingehen würde.
Nie und nimmer.«
»Vielleicht lassen Sie es sich doch noch einmal durch den Kopf gehen …«
»Haben Sie gehört«, unterbrach ihn die Gildemeisterin, »was mit den Leuten passiert, die in seinem Turm beim Falschspielen erwischt werden, Meister de Ferra? Er lässt ihnen die Hände abhacken, die er aufbewahrt und seiner Sammlung einverleibt, und die Körper werden von hoch oben auf einen steinernen Hof geworfen. Die Familien oder Geschäftspartner müssen dann für die Entsorgung der zerschmetterten Leichen und die Reinigung des Pflasters bezahlen. Möchten Sie wissen, was er mit dem Kerl gemacht hat, der zuletzt einen Kampf im Sündenturm anzettelte und jemanden so schwer verletzte, dass Blut floss? Requin ließ ihn auf einem Tisch festbinden. Irgendein Viehdoktor schnitt ihm die Kniescheiben heraus und schüttete rote Ameisen in die Wunden. Danach nähte er die Kniescheiben mit Zwirn wieder an. Der Mann bettelte, man möge ihm die Kehle aufschlitzen. Aber den Gefallen tat man ihm nicht.
Requin verfügt in gewisser Hinsicht über uneingeschränkte Macht. Er ist unantastbar.
Der Archont lässt ihn gewähren, aus Angst, er könnte die Priori gegen ihn aufbringen, und für die Priori ist er viel zu nützlich, als dass die ihn bremsen würden. Seit Selendri um ein Haar gestorben wäre, hat er eine Form von Grausamkeit kultiviert, wie diese Stadt sie nie gekannt hat. Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was mich dazu verleiten könnte, Requin zu provozieren.«
»Ich nehme das alles
Weitere Kostenlose Bücher