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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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Was bist du doch für ein niedliches kleines Ding.«
    Die Kreatur zirpte ihm eine leise Warnung zu und hüpfte seiner Herrin hinterher.
    Schnaufend und schwitzend stieg Jean eine weitere im Zickzack verlaufende Treppe hoch; gereizt nahm er sich vor, demnächst ein bisschen Sport zu treiben, um seiner deutlich anwachsenden Wampe entgegenzuwirken. Jerome de Ferra war ein Mann, der sich nur bewegte, um vom Bett zu den Spieltischen und zurück zu gelangen.
    Vierzig Fuß, sechzig Fuß, achtzig Fuß … er ließ den Küstensaum hinter sich, erreichte die zweite und dritte Terrasse der Insel und kletterte dann bis zur vierten und obersten hinauf, wo der exzentrische Einfluss der Kunsthandwerker am deutlichsten spürbar war.
    Die Läden und Häuser auf der vierten Terrasse des Rings wurden durch ein ungeheuer extravagantes Netzwerk aus Aquädukten mit Wasser versorgt. Manche verliefen über Steinsäulen, die noch aus der Ära des Theriner Throns stammten, daneben gab es welche, die aus simplen, mit Holzstreben abgestützten Lederröhren bestanden. Überall drehten sich Wasserräder, Windräder, Zahnräder; Gegengewichte und Pendel schwangen hin und her, wohin man auch blickte. Die Wasserzufuhr umzuleiten galt als Spiel, das die Kunsthandwerker untereinander austrugen; die einzige Regel bestand darin, dass niemand gänzlich vom Wasservorrat abgeschnitten wurde.
    Alle paar Tage tauchte irgendwo ein neuer Zweig irgendeiner Leitung oder ein neuer Pumpenmechanismus auf und stahl Wasser von einem älteren Rohr oder einem älteren Pumpenmechanismus. Wenige Tage später lenkte dann ein anderer Kunsthandwerker Wasser durch einen neuen Kanal, und der Kampf ging weiter. Nach jedem Tropensturm waren die Straßen des Rings mit Zahnrädern, Röhrenteilen und mechanischem Kleinkram übersät, und jedes Mal bauten die Kunsthandwerker ihre Wasserkanäle weitaus komplizierter wieder auf als zuvor. Die Glasbiegerstraße verlief über die gesamte Länge der obersten Terrassenstufe. Jean bog nach links ab und hastete über das Kopfsteinpflaster. Die seltsamen Ausdünstungen der Glasherstellung wehten ihm aus den Werkstätten entgegen; durch offene Türen sah er die Künstler, die an den Enden langer Stangen glühende, orangefarbene Klumpen drehten. Ein kleines Grüppchen von Alchemisten-Gehilfen belegte die Straße mit Beschlag und fegte an ihm vorbei. Sie trugen die ausschließlich ihrem Berufsstand vorbehaltenen roten Schädelkäppchen und stellten stolz die chemischen Verbrennungen an ihren Händen und Gesichtern zur Schau. Er überquerte die Allee der Zahnradfeiler, wo Arbeiter vor ihren Werkstätten saßen und Metallteile säuberten und polierten. Einige von ihnen standen unter der direkten Aufsicht von ungeduldigen Kunsthandwerkern, die wenig hilfreiche Anweisungen knurrten und nervös von einem Fuß auf den anderen traten. Diese Kreuzung befand sich am südwestlichen Ende der vierten Terrasse; von hier aus ging es nur noch in zwei Richtungen weiter. Entweder man stieg wieder nach unten – oder man wagte sich hinaus auf den vierzig Fuß langen Weg, der zum Haus von Azura Gallardine führte. Das tote Ende der Glasbiegerstraße war gesäumt von einer Reihe im Halbkreis stehender Geschäfte, zwischen denen eine Lücke klaffte wie bei einem Gebiss, dem ein Zahn fehlte. Hinter dieser Lücke stieß ein Pylon aus Elderglas ins Nichts hinein; aus einem unerfindlichen Grund hatte die uralte, fremdartige Rasse der Eidren es für nötig befunden, diesen Glasmast im Stein der vierten Terrasse zu verankern. Der Pylon war ungefähr anderthalb Fuß breit, oben flach und vierzig Fuß lang. Ungefähr fünfzehn Fuß über den Dächern einer Straße, die sich in vielen Windungen die vierte Terrasse entlangschlängelte, ragte er wie eine überdimensionierte Laufplanke in den freien Raum.
    Am äußersten Ende des Pylons balancierte Azura Gallardines Haus wie ein dreistöckiges Vogelnest auf einer Zweigspitze. Die Zweite Herrin der Großen Gilde der Kunsthandwerker hatte die ideale Möglichkeit entdeckt, ihre Privatsphäre zu schützen; nur wer ernsthafte Geschäfte im Sinn hatte oder tatsächlich ihrer Dienste bedurfte, ließ sich dazu hinreißen, über den Pylon zu turnen, der zu ihrer Haustür führte.
    Jean schluckte krampfhaft, rieb seine Hände aneinander und schickte ein Stoßgebet zum Korrupten Wärter, ehe er einen Fuß auf das Elderglas setzte. »So schwierig kann es gar nicht sein«, murmelte er. »Ich habe schon Schlimmeres erlebt. Es ist nur ein

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