Sturm ueber roten Wassern
und war sich nicht sicher, ob und welchen Eindruck er auf Selendri gemacht hatte; doch am meisten beunruhigte ihn, dass er selbst nicht mehr einschätzen konnte, wie überzeugend er wirkte.
3
»Meister Kosta! Mein geheimnisvoller neuer Mitarbeiter. Sie müssen ja überaus beschäftigt gewesen sein.«
Requins Büro war genauso unaufgeräumt wie bei Lockes letztem Besuch. Zu seiner Genugtuung sah er, dass seine Kartenspiele an mehreren Stellen auf und neben dem Schreibtisch aufgestapelt waren. Die Fahrstuhltür befand sich in einer Wandnische zwischen zwei Gemälden und war Locke vorher gar nicht aufgefallen.
Requin stand an der mit einem Netz bespannten Balkontür und blickte nach draußen; er trug einen schweren kastanienbraunen Gehrock mit schwarzen Aufschlägen. Mit einer behandschuhten Hand kratzte er sich am Kinn, während er Locke einen Seitenblick zuwarf.
»Im Gegenteil«, widersprach Locke. »Jerome und ich gönnten uns ein paar Tage Ruhe.
So wie ich es Ihnen versprochen hatte.«
»Ich spreche nicht nur von den letzten paar Tagen. Ich habe mich nämlich erkundigt, was sie während der vergangenen zwei Jahre so in Tal Verrar getrieben haben.«
»Darauf hatte ich gehofft. Und was haben Ihre Nachforschungen ergeben – waren sie aufschlussreich?«
»Sehr sogar. Lassen Sie uns gleich zur Sache kommen. Ihr Partner hat versucht, aus Azura Gallardine Informationen über meinen Tresor herauszuquetschen. Vor über einem Jahr. Wissen Sie, wer diese Dame ist?«
Aus dem Augenwinkel sah Locke, dass Selendri langsam im Zimmer auf und ab spazierte und ihn über ihre rechte Schulter hinweg beobachtete.
»Selbstverständlich. Ein ganz hohes Tier in der Kunsthandwerker-Gilde. Ich gab Jerome ihre Adresse.«
»Und woher wussten Sie, dass sie an der Konstruktion meines Tresors mitgewirkt hat?«
»Es ist erstaunlich, wie viel man erfährt, wenn man in den Kneipen, in denen die Kunsthandwerker verkehren, Runden schmeißt und so tut, als fände man jede Geschichte, die sie einem auftischen, faszinierend.«
»Ich verstehe.«
»Das alte Luder hat aber dichtgehalten.«
»Etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Im Übrigen ließ sie die Sache auf sich beruhen und informierte mich nicht einmal, dass jemand bei ihr aufgetaucht war, um sie auszufragen. Ich hingegen führte ein paar Befragungen durch, und dabei stellte sich heraus, dass ein Bierverkäufer, der für mich Augen und Ohren offenhält, jemanden vom Himmel fallen sah, der der Beschreibung Ihres Kompagnons entspricht.«
»Ja. Jerome berichtete mir, dass die Gildemeisterin sich einer einzigartigen Methode bedient, um Gespräche abrupt zu beenden.«
»Nun, Selendri hat sich gestern Abend mit ihr unterhalten, ohne dass ihr ein derartig überstürzter Abgang zuteilwurde. Ein entsprechender Anreiz sorgte dafür, dass die Gildemeisterin sich an jede Einzelheit von Jeromes Besuch erinnerte.«
»Anreiz?«
»Finanzieller Art, Meister Kosta.« »Ach so.«
»Ich weiß auch, dass Sie in einigen meiner Banden drüben in der Silber-Marina herumgeschnüffelt haben. Ungefähr zu derselben Zeit, als Jerome Azura Gallardine seine Aufwartung machte.«
»Richtig. Ich sprach mit einem älteren Burschen namens Drava und einer Frau … wie hieß sie doch gleich …« »Armania Cantazzi.«
»Ja, genau! Danke. Ein bildschönes Weib; nachdem das Geschäftliche erledigt war, wäre ich ihr gern ein bisschen nähergekommen, aber anscheinend gefiel ich ihr nicht.«
»Nehmen Sie’s nicht persönlich; Armania steht nur auf Frauen.«
»Da bin ich aber erleichtert! Und ich hatte schon Angst, mir sei mein natürlicher Charme abhanden gekommen.«
»Sie erkundigten sich über Schiffsfrachten, oder besser gesagt, wie man die Zollkontrolle umgehen kann. Schließlich handelten Sie sogar ein paar Konditionen mit meinen Leuten aus, haben sich aber nie wieder blicken lassen. Warum nicht?«
»Jerome und ich ließen uns das Problem mit dem Verschiffen von Gütern lange durch den Kopf gehen. Wir kamen überein, dass es das Sicherste sei, den Hafen von Tal Verrar ganz zu umgehen. Wir wollten die Sachen, die wir Ihnen gestohlen hatten, einfach in mehrere kleine Boote laden; einen Leichter zu chartern hätte zu gefährlichen Komplikationen führen können.«
»Wenn ich plante, mich selbst zu bestehlen, würde ich wahrscheinlich genauso vorgehen. Und nun lassen Sie uns auf die Alchemisten zu sprechen kommen. Aus zuverlässigen Quellen weiß ich, dass Sie letztes Jahr mit mehreren
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