Sturm ueber roten Wassern
Zusammensetzung – Bedauern, Verlegenheit, Sehnsucht.
»Sollte ich Sie beleidigt haben, Madam – was auch immer ich gesagt oder getan habe –, ich würde es zu gern ungeschehen machen.« Ein Hauch von Zögern, gerade genug, um glaubwürdig zu wirken. Das bewährteste Instrument in seinem verbalen Repertoire. »Verraten Sie mir, womit ich Sie gekränkt habe, und ich werde mir überlegen, wie ich meinen Fehler wiedergutmachen kann. Ich bitte Sie, geben Sie mir diese Chance.«
Sie bewegte sich neben ihm; einen Herzschlag lang verstärkte sich der harte Druck der Messinghand. Locke schloss die Augen; mit den Ohren, über die Haut und durch seinen schieren Instinkt versuchte er den leisesten Hinweis auf eine Reaktion wahrzunehmen. Verachtete sie Mitgefühl, oder sehnte sie sich danach? Er spürte das Pochen seines eigenen Herzens, hörte den schwachen Puls in seinen Schläfen.
»Es gibt nichts, was Sie ungeschehen machen könnten«, erwiderte sie leise. »Fast wünsche ich mir, es wäre so. Dann könnte ich Ihre Bedenken vielleicht ausräumen.«
»Das können Sie nicht.« Sie seufzte. »Es ist unmöglich.« »Und Sie gestatten mir nicht einmal, es zu versuchen?«
»Sie reden so, wie Sie Ihre Kartentricks ausspielen, Meister Kosta. Viel zu gewandt. Ich fürchte, im Umgang mit Worten sind Sie noch viel raffinierter als in der Handhabung der Karten. Wenn Sie es unbedingt wissen wollen – ich lasse Sie nur am Leben, weil Sie Ihrem Arbeitgeber eventuell von Nutzen sein können.«
»Ich möchte nicht Ihr Feind sein, Selendri. Ich will Ihnen nicht einmal lästig werden.« »Worte sind billig. Billig und bedeutungslos.«
»Ich kann nicht …« Abermals eine geschickt eingefügte Kunstpause. Locke ging mit derselben Behutsamkeit vor, mit der ein Meisterbildhauer Krähenfüße um die Augen einer Statue zieht. »Nun ja, vielleicht bin ich aalglatt und undurchschaubar. Aber anders vermag ich mich nicht auszudrücken, Selendri.« Die wiederholte Anrede mit ihrem Vornamen, ein Zwang, beinahe eine magische Formel. Viel intimer und wirksamer als jeder Titel. »Ich bin, wer ich bin.« »Und Sie wundern sich noch, dass ich Ihnen nicht traue?«
»Ich frage mich eher, ob es überhaupt etwas oder jemanden gibt, dem Sie trauen.« »Schenke niemandem dein Vertrauen«, entgegnete sie, »dann wirst du auch niemals enttäuscht. Du wirst hintergangen, aber nicht verraten.«
»Hmmm.« Locke biss sich auf die Zunge und dachte fieberhaft nach. »Aber ihm vertrauen Sie doch, nicht wahr, Selendri?« »Das geht Sie verdammt noch mal nichts an, Meister Kosta.«
Von der Decke des Fahrstuhls ertönte ein lautes Scheppern. Die Kabine rüttelte heftig und kam dann mit einem Ruck zum Stehen.
»Verzeihen Sie«, sagte Locke. »Wir befinden uns sicher nicht in der sechsten Etage. Sind wir dann in der neunten?« »Ganz recht. In der neunten.«
In einer Sekunde würde sie die Tür öffnen. Ihnen blieb ein winziger Moment allein in der intimen Dunkelheit und Enge. Er wog seine Chancen ab und suchte nach einem letzten Pfeil, den er abschießen konnte. Eine riskante Bemerkung, die gleichzeitig Anlass zur Beunruhigung gab.
»Früher hatte ich keine besonders hohe Meinung von ihm, wissen Sie. Bevor ich herausfand, dass er die Weisheit besitzt, Sie wirklich zu lieben.« Abermals eine Unterbrechung, und dann senkte er seine Stimme zu einem kaum wahrnehmbaren Flüstern. »Ich glaube, Sie sind die tapferste Frau, der ich je begegnet bin.« In der Finsternis zählte er seine Herzschläge, bis ihre Antwort kam.
»Darauf sollte ich wohl stolz sein«, wisperte sie mit einem ätzenden Unterton. Man hörte ein Klicken, eine Linie aus gelbem Licht spaltete die Dunkelheit und stach ihm in die Augen. Mit der künstlichen Hand stieß sie ihn gegen die Tür, die aufging und den Blick in Requins von Lampen beleuchtetes Arbeitszimmer freigab.
Tja, sollte sie ruhig eine Zeit lang über seine Worte nachgrübeln – während er auf unbewusste Signale achtete, die ihm verrieten, wie er weiter vorgehen sollte. Er hatte kein besonderes Ziel im Sinn, Hauptsache, sie fühlte sich ein bisschen verunsichert, weniger geneigt, ihm ein Messer in den Rücken zu rammen. Und als ein kleiner Teil von ihm Skrupel empfand, weil er mit ihren Emotionen spielte (bei den Göttern, dieser Teil hatte sich früher kaum gemeldet) – tröstete er sich damit, dass er als Leocanto Kosta tun und fühlen konnte, was immer ihm beliebte. Denn Leocanto Kosta war nicht real.
Er trat aus dem Fahrstuhl
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