Sturm ueber roten Wassern
herumtreibe und versuche, den neuesten Klatsch über den Archonten und die Priori aufzuschnappen? Es kann nicht schaden, wenn wir ein bisschen mehr über die Geschichte dieser Stadt erfahren.«
»Tu das. Was zur Hölle ist das denn?«
Sie waren nicht allein im Hafen; zu den gelegentlichen Fremden, die in Geschäften unterwegs waren und hin und her eilten, kamen Bootsleute, die unter Mänteln neben ihren festgemachten Kähnen schliefen, und eine erkleckliche Anzahl von Betrunkenen und Wohnungslosen lag zusammengerollt an allen möglichen Stellen, die nur ein wenig Schutz boten. Links von ihnen ragte eine Wand aus übereinandergestapelten Kisten in die Höhe, und in ihrem Schatten hockte eine magere, in Lumpen gehüllte Gestalt, neben sich eine winzige alchemische Kugel, die ein blassrotes Licht abstrahlte.
Das Individuum presste einen kleinen Rupfensack an sich, und nun winkte es ihnen mit einer bleichen Hand zu.
»Gnädige Herren, gnädige Herren!« Die laute, krächzende Stimme schien einer Frau zu gehören. »Haben Sie doch Mitleid, meine Herren. Um der Barmherzigkeit willen! Um Perelandros willen. Eine Münze, irgendeine Münze, dünnes Kupfer würde genügen. Haben Sie Mitleid, um Perelandros willen!«
Locke griff nach seiner Geldkatze, die sich in einer Innentasche seines Gehrocks befand. Jean hatte seinen Rock ausgezogen und trug ihn zusammengefaltet über dem rechten Arm; das Almosenausteilen überließ er an diesem Abend Locke.
»Um Perelandros willen, Madam, bekommen Sie mehr als einen Centira.« Momentan abgelenkt durch seinen herzerwärmenden Akt der Großzügigkeit, hielt Locke der Frau bereits drei Silbervolani hin, ehe ihm die ersten Warnsignale bewusst wurden. Die Bettlerin hätte sich schon mit einer dünnen Kupfermünze zufriedengegeben und besaß eine durchdringende Stimme … wieso hatten sie nicht gehört, dass sie vor ihnen andere Fremde ansprach, die denselben Weg eingeschlagen hatten wie er und Jean?
Und warum streckte sie ihnen den Rupfensack entgegen, und nicht die aufgehaltene Hand?
Jean reagierte schneller als er, und da es keine elegantere Möglichkeit gab, um Locke in Sicherheit zu bringen, hob er einfach den linken Arm und stieß Locke heftig zur Seite. Ein Armbrustbolzen bohrte ein säuberliches, dunkles Loch in den Rupfensack und zischte an ihnen vorbei durch die Luft; Locke spürte noch, wie der Bolzen seine Rockschöße streifte, während er seitlich wegkippte. Er fiel über eine kleine Kiste und landete hart auf dem Rücken.
Gerade als er sich wieder hochrappelte, sah er, wie Jean der Bettlerin ins Gesicht trat. Der Kopf der Frau wurde nach hinten gerissen, doch sie stützte sich mit den Händen auf dem Boden ab, vollführte mit den Beinen einen Scherenschlag und brachte Jean zu Fall. Als Jean zu Boden ging und seinen zusammengefalteten Rock wegwarf, riss die Bettlerin die Beine in einer geraden Linie nach oben, ließ sie wieder hinunterschnellen und stemmte sich in einem Bogen hoch. Im Nu stand sie auf den Füßen und riss sich die Lumpen vom Körper.
Verdammte Scheiße! Sie ist eine Kick-Boxerin – eine verfluchte chassoneuse, dachte Locke und richtete sich taumelnd auf. Damit kommt Jean nicht klar. Locke schüttelte seine Ärmel, und in jede Hand fiel ein Stilett. Vorsichtig sprang er über die Steine auf Jeans Gegnerin zu, die Jean in die Rippen trat, während der massige Kerl versuchte, wegzurollen. Locke war nur noch drei Schritte von der chassoneuse entfernt, als das Klatschen von Lederstiefeln auf dem Boden ihm verriet, dass jemand hinter ihm war. Er hob das Stilett, das er in der rechten Hand hielt, als wolle er es Jeans Angreiferin in den Leib rammen, dann duckte er sich blitzschnell, wirbelte herum und stach mit der Klinge in der linken Hand blindlings nach hinten.
Locke war froh, dass er sich gebückt hatte; etwas wirbelte so nahe an seinem Kopf vorbei, dass es schmerzhaft an seinen Haaren riss. Sein neuer Kontrahent war ebenfalls ein »Bettler«, ein Mann mit einer ähnlich schmächtigen Statur wie er; der Typ hatte gerade eine lange Eisenkette nach ihm geworfen, und wäre Locke nicht im letzten Moment ausgewichen, wäre sein Schädel zerschmettert worden wie eine Eierschale. Der Schwung des Angriffs trug den Mann nach vorn, und er rannte direkt in Lockes Stilett hinein, das sich ihm bis zum Griff in die rechte Achselhöhle bohrte. Der Mann schnappte nach Luft, und Locke nutzte seinen Vorteil gnadenlos aus, indem er die andere Klinge von oben in sein linkes
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