Sturm über Sylt
Frauke belauscht hatten? Dass sie noch immer auf der Suche nach dem Geheimnis ihrer Mutter war?
Sie hatte noch keine Antworten gefunden, da schob Insa den Stuhl zurück und stand auf. »Ich hätte mir denken können, dass auf dich kein Verlass ist. Wenn du es dem erstbesten Kerl erzählst, hast du es vielleicht auch noch anderen verraten?«
»Jorit wird schweigen! Er will uns helfen! Und Sönke auch!«
In Insas Augen stand Hass, ihre Stimme war voller Verachtung. »Ohne einen Mann, der Aletta Lornsen die Schleppe trägt, geht es wohl nicht? Erst der reiche Ludwig Burger! Und da er nicht mehr am Leben ist, greift Aletta Lornsen eben auf den Jugendfreund zurück. Den hat sie zwar für ihre große Zukunft verlassen, aber dafür, dass er der berühmten Operndiva dienen darf, vergisst er schon mal seine schwerkranke Frau.«
»Sprich nicht so, Insa!«
»Und wenn sie uns dann alle ans Messer geliefert hat, weil sie ihr Plappermaul nicht halten konnte, wird sich schon jemand finden, der die große Sängerin mal in ›Turandot‹ oder in ›Carmen‹ gesehen hat und davon so hingerissen war, dass sie als Einzige nicht ins Gefängnis kommt. Nur ihre Schwester! Und Frauke! Und Sönke wird vielleicht sogar an die Wand gestellt!«
»Insa! Du tust mir Unrecht!«
Doch Insa war nicht mehr zu halten. Ihre Augen sprühten, ihr blasses Gesicht glühte mit einem Mal, eine Flechte hatte sich aus ihren Haaren gelöst, Schweiß stand auf ihrer Stirn.
»Reik Martensen weiß es auch schon! Da kommt es ja auf ein paar weitere nicht mehr an!«
»Dafür konnte ich nichts. Sönke selbst hat sich verraten!«
»Dieser elende Krieg!«, schrie Insa. »Warum konnte er nicht ausbrechen, als du in Wien warst! Warum musstest du dich hierin meinem Leben breitmachen? Du machst alles kaputt! Alles! Schon immer hast du alles kaputtgemacht! Seit du auf der Welt bist ...« Insa gab ihr keine Gelegenheit zur Erklärung. Sie riss ihr das Aspirin aus der Hand und lief aus der Küche.
»Höchstens zwei Tütchen von dem Pulver!«, rief Aletta ihr nach, dann fiel die Küchentür ins Schloss.
Aletta horchte ins Haus. Insa machte sich nicht die Mühe, leise aufzutreten. Die Speichertür wurde geöffnet und fiel mit einem Knall ins Schloss. Diese sekundenlange Öffnung von Sönkes Verlies hatte einen Ruf bis in die Küche dringen lassen. Ein Ruf nach Hilfe, ein Flehen, ein Stöhnen, ein Schrei. Bald würde Insa einsehen, dass es richtig gewesen war, Jorits Hilfe anzunehmen.
Sie griff in ihre Schürzentasche und holte ein Fläschchen heraus, das sie Insa erst geben wollte, wenn das Aspirin versagt hatte. Jorit glaubte, dass es nicht stark genug war, so heftige Schmerzen, wie Sönke sie litt, zu betäuben. Aber es war wohl besser, zu warten. Insa musste ihre Ablehnung erst überwinden, bis sie bereit sein würde, auch dieses Medikament anzunehmen.
Jorit hatte sie vor sich her geschoben, die Treppe hinab, einen Gang entlang, den Aletta noch von früher kannte, dann durch eine Tür, die es früher nicht gegeben hatte. Sie führte in einen der Anbauten, die Jorits Elternhaus nach und nach von einem Haus, in dem Zimmer vermietet wurden, zu einem Hotel gemacht hatten. Als Aletta in einer Nische Tommas Rollstuhl stehen sah, wusste sie, dass sie in dem Bereich angekommen waren, in dem die Peters wohnten.
Sie zauderte. »Wenn uns jemand sieht!«
Jorit schob sie ungeduldig voran. »Sie sind in der Küche! Beeke hat sie zum Essen gerufen.«
»Und Tomma?«
Jorit atmete tief durch, ehe er antwortete: »Sie wird künstlich ernährt. Mein Schwiegervater sorgt dafür. Nun schläft sie.«
Er öffnete eine Tür und drängte Aletta hindurch. Schnurstracks ging er auf einen weißen, schmalen Schrank zu, der in einer Ecke des Raumes stand, während Aletta abwartend in der Nähe der Tür stehen blieb und sich vorsichtig umsah.
Dieses Zimmer war sicherlich einmal ein Hotelzimmer gewesen. Aber das Bett war entfernt worden, damit Dr. Ocke Peters diesen Raum für die Versorgung seiner Tochter hatte einrichten können und für den einen oder anderen Sylter, der ihn um Hilfe bat. Der Medikamentenschrank war vermutlich von Hamburg nach Sylt transportiert worden, ebenso wie die medizinischen Geräte und Utensilien, die auf einem kleinen Tisch bereitstanden, und die Liege, die ein Arzt für eine Untersuchung benötigte. Dr. Ocke Peters hatte zwar seine Arztpraxis auf dem Festland seiner Tochter zuliebe aufgegeben, aber offenbar war er immer noch Arzt mit Leib und Seele.
Jorit
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