Sturm über Sylt
raschelte und ihreleisen Schritte viel zu laut waren, um sich hinter dem Stapfen von Jorits Schritten zu verstecken, wurde ihr klar, als sie hörte, dass sich die Tür unter ihr öffnete.
»Jorit?«
Sie mussten beide längst den Blicken von Tommas Mutter entschwunden sein, trotzdem machte Aletta sich keine Hoffnung, dass ihr Besuch unentdeckt geblieben war.
»Ich komme gleich!«, rief Jorit zurück, dirigierte Aletta in ein Zimmer und zeigte ihr mit aufgeregten Gesten, dass er bald zurückkehren werde. Anscheinend hatte er die Hoffnung, dass seiner Schwiegermutter weiszumachen war, er sei allein nach Hause gekommen. Aletta sah ihm unbehaglich nach, als er aus der Tür huschte. Wenn er doch nur aufhören würde, Maike Peters etwas vorzumachen! Verstand er nicht, dass er damit all ihre Befürchtungen bestätigte?
Sie hörte seine eiligen Schritte, dann seine Stimme, die hinter einem Türenschlagen verschwand. Unwohl sah sie sich um, mit dem Unbehagen einer Fremden, die, ohne es zu wollen, in die Intimität eines anderen blickte. Aber aus diesem Unwohlsein wurde bald Neugier, als ihr klar wurde, dass sie hier in das Leben eingedrungen war, das sie selbst geführt hätte, wenn Vera Etzold nie auf sie aufmerksam geworden wäre. Jorits Wohnzimmer war klein, aber behaglich eingerichtet. Die Wände schmückte eine geblümte Tapete, dichte Häkelgardinen hingen vor den Fenstern, links und rechts davon Vorhänge aus einem schweren, dunkelroten Stoff. Der Teppich war dünn und abgelaufen, die dunklen Möbel, der Vitrinenschrank, der große Tisch und die gepolsterten Stühle, all das strahlte eine Eleganz aus, die einen größeren Raum gebraucht hätte. Aletta nahm an, dass sie aus dem Haushalt der Peters stammten, die sie ihrer Tochter mit in die Ehe gegeben hatten. Jorits Eltern hatten in wesentlich bescheidenerem Mobiliar gelebt, hatten keinen Schrank mit Glastüren besessen, hinter denen buntes Porzellan und schwere Kristallgläser aufbewahrt wurden.
Hätte sie in diesem Zimmer, in diesem Haus, mit der Arbeit in diesem Hotel, an Jorits Seite glücklich werden können? Aletta brauchte nicht lange nachzudenken. Es wäre ein gutes Leben gewesen, ja, sie wäre sicherlich glücklich geworden, wenn Vera Etzold nie in ihr Leben getreten wäre und sie nie ein Glück wie das mit Ludwig hätte genießen dürfen.
Sie löste sich von diesen Gedanken, als sie Jorits Schritte auf der Treppe hörte. Er wirkte angespannt, während er eintrat, und warf Aletta nur einen flüchtigen Blick zu, als falle es ihm schwer, sie in dieser Umgebung zu sehen. Mit hängenden Armen stand er vor ihr, dann erst sah er ihr in die Augen. »Meine Schwiegermutter besteht darauf, dass ich immer erst Tomma begrüße, wenn ich heimkomme.«
»Hast du ihr erklärt, warum ich hier bin?«
»Sie weiß nicht, dass du gekommen bist!«
»Sie hat meine Schritte gehört, ganz sicher! Und wenn du ihr verschweigst, dass ich hier bin ...«
Er unterbrach sie mit einer Handbewegung, drückte sie auf einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber. »Sag mir, was du weißt. Was wirft man Dirk vor?«
Aletta schüttelte den Gedanken an Maike Peters ab und berichtete, was sie vor der Zimmerei beobachtet hatte. Kurz, nur ganz flüchtig, dachte sie sogar daran, Jorit die ganze Wahrheit zu sagen und ihm zu gestehen, dass sie wusste, wie Kai Stobart zu Tode gekommen war. Aber dann blieb sie doch bei dem, was Jorit wissen musste, um seiner Schwester Emme helfen zu können. »Ich habe nicht viel Zeit«, schloss sie. »Sönke ist vom Dach gefallen. Er hat sich ein Bein gebrochen. Insa braucht mich.«
Jorit war mit einem Mal Sönkes Schicksal wichtiger als Dirks. »Wie konnte das passieren?«
Während Aletta hastig erzählte, griff Jorit nach ihren Händen. Er streichelte sie nicht, seine Finger sandten keine Liebkosung aus, er hielt sie nur. Nicht, wie Ludwig es getan hatte, kräftig und fest! Nein, Jorit gab ihren Händen Schutz, mehr nicht. Siebewegte sie nicht, um diesen Schutz nicht zu verlieren, während sie ihm erzählte, was mit Sönke geschehen war. »Er hat starke Schmerzen. Ich hoffe, er schreit nicht das ganze Haus zusammen.«
»Er braucht ein Schmerzmittel.«
»Frauke Lützen versucht es mit Tee und irgendeinem Sud.«
»Ob das hilft? Was hat Frauke Lützen überhaupt mit Sönke zu schaffen?«
Aletta zuckte leicht die Schultern, nur so, dass diese Bewegung ihre Hände nicht erreichte. »Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, was sich zwischen Insa und Frauke
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