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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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würde. Mit dem linken Auge spähte sie in den Zuschauerraum, der noch hell erleuchtet war, wanderte von Reihe zu Reihe, von Gesicht zu Gesicht. Da, Pfarrer Frerich! Er saß in einer der ersten Reihen, die Hände über dem Bauch gefaltet, und strahlte höchste Zufriedenheit aus. In der Mitte entdeckte sie Jorit. Ganz still saß er da, beteiligte sich nicht an den Gesprächen,die rechts und links neben ihm geführt wurden. Anscheinend war er allein gekommen. Bewegungslos starrte er den Vorhang an, und Aletta schloss ihn erschrocken. Ihr war, als hätte er ihr linkes Auge entdeckt.
    Ludwig strich ihr sanft über den Rücken. »Hast du sie gesehen?«
    Aletta schüttelte den Kopf. Dann schloss sie die Augen, wie sie es immer tat, wenn der Auftritt kurz bevorstand, summte leise, machte Kaubewegungen und entspannte ihre Stimme durch Lippenflattern und erzwungenes Gähnen.
    Nun wurde es im Zuschauerraum dunkel. Der Vorhang war so dicht, dass das Löschen der Lichter nicht zu sehen war, sondern nur akustisch wahrgenommen wurde, weil die Stimmen leiser wurden und es schließlich still im Saal geworden war. Schritte ertönten, Kurdirektor Wülfke betrat durch einen der beiden Treppenaufgänge an den Seiten die Bühne. Freundlicher Applaus begrüßte ihn, und Aletta hoffte, dass er sein Versprechen halten und ihren Auftritt mit nur wenigen Worten ankündigen werde.
    Tatsächlich nahm er sich nur ein paar Minuten, um darauf hinzuweisen, dass ihnen allen ein außergewöhnlicher Abend bevorstand mit einer außergewöhnlichen Sängerin, die einmal unter ihnen gelebt hatte. Er betonte, wie lange es sein Wunsch gewesen sei, dass Aletta Lornsen ein Konzert auf Sylt gebe, und wie glücklich er sich schätze, dass sie seiner Einladung nun endlich gefolgt sei.
    Er schöpfte tief Luft, diesen Augenblick nutzte das Publikum, um zu applaudieren und damit seine Worte zu bestätigen. Aletta befürchtete schon, dieser Zuspruch könnte Herrn Wülfke dazu ermutigen, seine Rede zu verlängern, aber er hielt tatsächlich Wort. Kurz und bündig stellte er das Westerländer Kurorchester und seinen Dirigenten vor, um dann, während die Musiker die Bühne betraten, wieder Teil des Publikums zu werden.
    Aletta dachte nicht daran, wie es klang, wenn ein großes Orchester unter einem berühmten Dirigenten spielte, wie mächtigdann das Klangvolumen war, wie exorbitant der Wohlklang und wie sie die Flut dieser Musik dann nutzte, um sich auf die Bühne spülen zu lassen und in ihr unterzugehen. Diesmal tröpfelte die Musik nur, sie würde in keine Flut eintauchen, sondern sich in einen Regen stellen. Aber das spielte keine Rolle. Sie war in ihrer Heimat, dort unten saßen Menschen, die ihr etwas bedeuteten, denen sie etwas bedeutete und denen sie nun zeigen wollte, dass alles, was sie getan hatte, richtig gewesen war.
    Der Jubel, mit dem sie begrüßt wurde, bestätigte sie schon, noch ehe sie einen Ton gesungen hatte. Und dann schaffte es auch die tröpfelnde Kurorchester-Musik, sie mitzureißen. Oder war es umgekehrt? Riss ihr Gesang die Musiker mit? Es spielte keine Rolle. Aletta Lornsen sang und sang, sie sang um ihr Leben. Und Applaus für Applaus wurde der Jubel größer. Die Zuhörer sprangen von ihren Sitzen und applaudierten im Stehen, ließen Bravo-Rufe hören und trampelten mit den Füßen, um den eigenen Applaus noch zu überbieten. Das Glück, das Aletta anfüllte, war von besonderer Art. Es war nicht das Glück, das im Gelingen, im Erfolg, im Triumph entstand, es war ein Glück, das so alt war wie ihr Leben und so unfassbar und wundervoll wie sein Ursprung. Allumfassend! Und so kostbar wie sonst nichts auf der Welt!
    Dann sorgte sie für eine kleine Stille, wie immer vor ihrem letzten Lied. Im Zuschauerraum hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so gespannt war mit einem Mal die Erwartung. Mancher mochte auf eine ihrer größten Opernarien hoffen, andere auf etwas Modernes, vielleicht auf Jacques Offenbach, der zurzeit Furore machte ...
    Aber Aletta Lornsen sang zum Abschluss »Guten Abend, gut’ Nacht, mit Rosen bedacht ...«, das Lied, das ihr Vater immer dann angestimmt hatte, wenn ein schöner Tag zu Ende gegangen, wenn ein Fest verklungen war, wenn es Grund zur Dankbarkeit gegeben hatte. »Schau im Traum ’s Paradies ...«Auch an diesem Abend war der Wind eingeschlafen, die Brandung jedoch hörte sich an, als sei sie sturmgepeitscht. Die Brecher warfen sich auf den Strand, zogen sich zischend zurück und kehrten tosend

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