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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Situation verändert sich dramatisch. Österreich will Serbien nach dem Attentat auf den Kronprinzen in die Knie zwingen. Der österreichische Botschafter ist in Berlin, um sich Unterstützung zu sichern. Serbien soll eliminiert werden.«
    Aletta hörte nicht zu. Sie griff nach seinem Arm, als er sich von ihr trennen wollte, und hielt ihn fest. »Danke, Ludwig. Danke, dass du mir beistehst.«
    Er lächelte und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Viel Glück!«
    Dann ging er die Stephanstraße bis zu ihrem Ende und verschwand kurz darauf hinter den Bäumen. Aletta wartete, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte, dann erst ging sie auf die Haustür zu, durch die sie vor zehn Jahren gehuscht war, um sich mitVera an der Inselbahn zu treffen, die sie zum Hafen Munkmarsch bringen sollte.
    »Du brauchst nichts mitzunehmen«, hatte Vera ihr eingeschärft. »Wenn wir in Kassel sind, kaufe ich dir alles, was du nötig hast.«
    Aletta hatte ihr Elternhaus verlassen, um irgendwann als gefeierte Sängerin zurückzukehren. Pfarrer Frerich war der Einzige gewesen, der wusste, was sie vorhatte, aber er war ans Beichtgeheimnis gebunden. Sicherlich war es kein Zufall gewesen, dass er ihr auf dem kurzen Weg zum Bahnhof begegnete, aber aufhalten ließ sie sich von ihm nicht.
    Die Eingangstür hatte einen neuen Anstrich bekommen, und sie knarrte auch nicht mehr. Beinahe lautlos schwang sie auf, Aletta blieb auf der Schwelle stehen und sah sich um. Der weiße Garderobenschrank war noch derselbe, die Haken daneben, von denen es früher für jedes Familienmitglied einen gab, hatten sich nun vervielfältigt. Mindestens ein Dutzend waren an der Wand angebracht worden, und an jedem hing ein Kleidungsstück. Ein neuer roter Kokosläufer wies zur Wohnzimmertür, hinter der sie fremde Stimmen hörte. Feriengäste, die sich über das Konzert unterhielten, dem sie am Abend vorher im Alten Kursaal beigewohnt hatten.
    »Sie soll die Schwester von Insa Lornsen sein. Eine begabte Person! Ich hoffe, dass man sie in diesem Hause zu Gesicht bekommt! Sie wird doch ihre Familie besuchen wollen, oder?«
    Davon waren alle anderen fest überzeugt, was sie auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck brachten. Währenddessen schlich Aletta auf die nächste Tür zu und schob sie leise auf. Doch die Küche war leer. Auf dem Tisch lag ein angeschnittenes Brot, ein Steintopf, zur Hälfte mit Butter gefüllt, stand daneben. Auf dem Spülstein türmte sich schmutziges Geschirr, einige Marmeladengläser standen geöffnet herum, über denen die Fliegen kreisten.
    Sie ging zu der Tür, die in den Garten führte, und blicktehinaus. Die Kräuterbeete waren noch so, wie Aletta sie in Erinnerung hatte, der Gemüsegarten jedoch war stark verkleinert worden. Ein massiver Anbau, der sicherlich vier oder fünf Zimmer enthielt, hatte sich in den Garten geschoben, am Ende des Grundstücks. In der Nähe der Hecke, wo schattenspendende Obstbäume standen, gab es nun eine Rasenfläche, auf der einige Strandkörbe standen. Weder Insa noch ihre Mutter waren zu sehen.
    Dann aber hörte Aletta eine Tür im Obergeschoss klappen, kurz darauf Schritte auf der Treppe. Feste, resolute Schritte. Sie stammten nicht von Alettas Mutter, die stets leise durchs Haus huschte, als wollte sie niemanden mit ihrer Anwesenheit stören.
    Und dann Insas Stimme: »Wollen Sie zum Strand, Herr Doktor? Das Wetter ist heute gut genug.«
    Eine dumpfe Männerstimme brummte etwas von einem vergessenen Sonnenhut und entfernte sich dann. Aletta stand kerzengerade am Tisch, den Blick auf die Küchentür gerichtet, als Insa eintrat. Sie hoffte, dass sie nicht ängstlich wirkte, als ihre Schwester vor ihr erschien.
    Insa blieb stehen wie vom Donner gerührt. Als wüsste sie nicht, dass ich auf Sylt bin, dachte Aletta.
    Sie wollte einen Schritt auf Insa zumachen, um sie zu umarmen, blieb dann aber genauso stocksteif stehen wie diese, als sie den abweisenden Blick bemerkte. Die Schwestern maßen sich mit Blicken. Schweigend! Aletta sah Insas herbe Schönheit, die grauen Fäden in ihrem blonden Haar, die Linien, die die zehn Jahre in ihr Gesicht geschrieben hatten, den langen schwarzen Rock aus einem derben Stoff, die graue Bluse, zugeknöpft bis zum Kinn, und die helle Schürze, das Angebot an die Feriengäste, die es gewöhnt waren, bedient zu werden, wozu unbedingt eine saubere weiße Schürze gehörte. Insa dagegen sah das teure Kleid ihrer jüngeren Schwester, ohne zu ahnen, dass Aletta sich für das schlichteste

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