Sturm über Sylt
gleich wieder, als er sah, dass sein Lachen weder von Insa noch von Aletta erwidert wurde.
Frerichs Blick wurde sorgenvoll. Er versuchte es mit Erkundigungen nach Ludwig Burger, mit der Frage, wie sich eine Sängerin fühlte, deren Kunst mit einem Mal nicht mehr gefragt war, und ob sich die beiden Schwestern gut verstanden. »Nach zehn Jahren müsst ihr euch erst mal wieder aneinander gewöhnen. Stimmt’s?«
Insa und Aletta beantworteten keine seiner Fragen. Insa setzte ihm eine Tasse Tee vor und fragte ihrerseits: »Gibt’s was Neues?«
Pfarrer Frerich wusste, dass sie den Krieg und seine Auswirkungen auf Sylt meinte. »Es gibt Planungen für die Verteidigung der Insel«, verkündete er.
»Also müssen wir befürchten, dass der Krieg nach Sylt kommt?«, fragte Aletta atemlos.
Aber der Pfarrer winkte ab. »Das sind alles Vorsichtsmaßnahmen. Fest steht, dass der Badebetrieb ab sofort eingestellt wird. Sämtliche Sommergäste müssen die Insel verlassen! Heute noch! Die entsprechende Anordnung hängt bereits vor dem Rathaus aus.«
»Warum?«, fragte Insa.
»Die Ferienunterkünfte werden für die Soldaten gebraucht, die unsere Insel bewachen sollen«, erklärte der Pfarrer. »Und die Sylter Dampfschifffahrt braucht alle zur Verfügung stehenden Schiffe für den Truppen- und Materialtransport. Mit der Beförderung der Feriengäste muss Schluss sein.«
Insa schien um die Pension Lornsen zu fürchten. »Einquartierung? Auch bei uns?«
Frerich nickte. »Daran wird wohl keiner vorbeikommen. Andererseits ist es gut, dass Wohnraum zur Verfügung steht, wenn alle Gäste die Insel verlassen haben.«
»Und wovon sollen wir dann leben?«, fragte Insa.
»Die kaiserlichen Quartiersätze stehen bereits fest. 14 Pfennig für jeden einfachen Soldaten! Für Offiziere gibt’s mehr, 2,25 Mark sogar für einen General.« Der Pfarrer faltete die Hände über seinem Bauch. »Wir werden uns an Einschränkungen gewöhnen müssen. Noch gibt es zum Glück genug Vorräte auf der Insel. Jede Pension, jedes Hotel hat die Vorratskammern voll. Die Sommersaison hätte ja noch ein paar Wochen angedauert. Not und Hunger brauchen wir fürs Erste nicht zu befürchten.« Pfarrer Frerich erwies sich als gut informiert und berichtete, dass auch auf Amrum der Badebetrieb eingestellt worden sei. Lediglich auf Föhr brauche niemand auf Feriengäste zu verzichten. »Die Insel liegt außerhalb militärischer Planungen. Nur Ausländer müssen Föhr verlassen. Die Österreicher sollen sofort abgereist sein.« Er warf Aletta einen Blick zu. »So wie Herr Burger.«
Aletta sah Insa an, aber diese blickte nicht auf, sondern beschäftigte sich weiter mit der Zubereitung des Abendessens für die Gäste. Doch als Aletta nach ihrer Hand griff, ließ sie die Arbeit endlich ruhen und wehrte diesmal Alettas Berührung auch nicht ab. »Wir müssen jetzt zusammenhalten«, sagte Aletta leise.
Dass Insa nickte, jagte ihr einen Schauer des Glücks über den Rücken, der in den ersten Tagen eines Krieges eigentlich unangemessen war.Insa verbrachte den Abend mit den Gästen, die ihr zugesichert hatten, dass sie, sobald der Krieg beendet sei, wiederkommen würden, um die gesunde Luft auf Sylt und die gute Versorgung in der Pension Lornsen zu genießen. Es herrschte eine Atmosphäre, die heiter und optimistisch sein sollte, aber niemals werden konnte. Im Gegenteil! Die übertriebene Sorglosigkeit, die dabei helfen sollte, die Angst zu überwinden, führte schon bald dazu, dass die Stimmung kippte und einer Frau die Tränen kamen, die gerade noch hysterisch gekichert hatte.
Während alle anderen sich ihr widmeten und ihr die eigene Stärke als gutes Beispiel präsentierten, erhob sich Aletta unbemerkt und verließ das Zimmer. Leise stieg sie die Treppe hoch, als hätte sie Angst, entdeckt und zurückgehalten zu werden. An der Tür ihrer kleinen Kammer ging sie vorbei, die Insa ihr eigentlich hatte zuweisen wollen. Aber Aletta hatte protestiert und das elterliche Schlafzimmer für sich beansprucht. »Die Kammer ist zu klein! Soll das große Schlafzimmer etwa leer stehen?«
Insa hatte schließlich nachgeben müssen. Und von der Frage, ob sie sich wirklich in einem Zimmer wohlfühlen könne, in dem ihre Mutter gestorben sei, hatte Aletta sich nicht provozieren lassen. Sie wollte auch deswegen in diesem Zimmer schlafen, weil sie dort ihrer Mutter nah sein konnte. Für Insa unvorstellbar!
Die Idee, Dirk Stobart zu bitten, ihr Sönke zur Verfügung zu stellen, war ihr
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