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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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aufmachen konnte.
    »Ich muss«, entgegnete Reik Martensen.
    Aletta nickte zu seinen Kameraden. »Was ist da los?«
    »Mehrere tote Soldaten sind angetrieben worden.«
    Aletta erschrak. »Was? Deutsche?«
    Reik nickte. »Zwei Kreuzer sind vor Helgoland im Gefecht gesunken. Das sind die Opfer. Einige von ihnen ...«
    Aletta starrte ihn ungläubig an. Krieg! Da war er! In seiner ganzen Grausamkeit! Der Krieg war auf Sylt angekommen!
    Reik Martensen wollte sie anscheinend ablenken. »Ich kann verstehen, wie gern Sie hier sind. Mir geht’s genauso. Ich merke jetzt erst, dass ich Heimweh hatte.«
    Aletta schüttelte den Gedanken an die toten Marinesoldaten ab. »Warum sind Sie nie zurückgekommen? Wenigstens für einen Besuch? Wegen Insa?«
    Er antwortete nicht, starrte aufs Meer und folgte einer Gischtkrone so lange mit den Augen, bis sie sich zu seinen Füßen auflöste. Erst als Aletta sich ihm zuwandte, nickte er. »Alle sagten, wir seien noch zu jung, um von Liebe zu reden. Das habe ich so oft gehört, bis ich es selbst geglaubt habe.«
    »Aber es stimmt nicht? Man ist auch schon mit fünfzehn oder sechzehn reif genug für die Liebe?«
    Reik griff mit beiden Händen in den Sand und ließ ihn durch die Finger rieseln. »Insa anscheinend nicht. Ihr Vater sagte, ich solle aufhören, an sie zu denken. Aus den Augen, aus dem Sinn!«
    »Sie haben mit unserem Vater darüber gesprochen?«
    »Als Insa nicht aus Hamburg zurückkam, bin ich zu ihm gegangen. Er hat mich gleich wieder weggeschickt. Insa wolle mit ihrer Mutter in Hamburg bleiben, sagte er. Ein halbes Jahr etwawürde es dauern.« Aletta spürte, dass er sie betrachtete. »Wissen Sie warum?«
    »Weil meine Mutter in Hamburg feststellte, dass sie schwanger war. Eine Fehlgeburt drohte, sie musste sich schonen und konnte nicht zurück nach Sylt.«
    Reik verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Also sind Sie gewissermaßen schuld?«
    Der Versuch, das Schwere von ihnen zu nehmen und es durch die Leichtigkeit vieler vergangener Jahre zu ersetzen, misslang gründlich. Ein Pfiff ertönte in den Dünen, eine barsche Stimme forderte Reik auf, endlich für Ordnung zu sorgen.
    Reik stand auf und reichte Aletta die Hand, um sie in die Höhe zu ziehen. Aber sie erhob sich aus eigener Kraft.
    »Hatten meine Eltern verboten, dass Insa Kontakt zu Ihnen aufnahm? Gab es Probleme zwischen Ihnen und meinen Eltern?«
    Reik nahm ihren Arm und dirigierte sie zum Strandübergang. »Wenn es Vorbehalte gab, dann nicht gegen mich, sondern gegen meinen Vater. Zwischen Ihrem und meinem Vater hat es einen heftigen Streit gegeben. Ich weiß aber nicht, worum es ging.«
    »Wann war das?«
    »Kurz bevor Insa mit ihrer Mutter nach Hamburg fuhr.«
    Aletta blieb stehen und befreite sich von Reiks Arm. Sie starrte in sein Gesicht, betrachtete seine kleine Nase, den breiten Mund mit den vollen Lippen, die starken Brauen und sah in seine braunen Augen. Sie machte ein paar Schritte den Strandübergang hinauf, dort drehte sie sich noch einmal um. »Lieben Sie meine Schwester immer noch?«
    Reik warf einen Blick zu dem Soldaten, der sich in einiger Entfernung aus den Dünen erhoben hatte und ihn tadelnd und warnend ansah. »Es hat zwar andere Frauen in meinem Leben gegeben, aber ... ich habe nie geheiratet. Eigentlich hätte ich gern Kinder gehabt, doch es gab keine Frau, die ich zur Mutter meiner Kinder hätte machen wollen.«
    »Wegen Insa«, stellte Aletta fest, obwohl es eigentlich eine Frage sein sollte.
    Und Reik Martensen bekräftigte: »Ja, wegen Insa.«
    Er drehte sich um und kehrte zu seinen Dienstpflichten zurück. Sie stand noch eine Weile da und starrte ihm nach. Geert Lornsen und der alte Martensen! Konnte sich zwischen diesen beiden ihr Schicksal entschieden haben?
    Dass Jorit ihr nachgelaufen kam, bemerkte sie erst, als sie schon ein gutes Stück der Strandstraße hinuntergegangen war. »Aletta! Warte!«
    Erstaunt sah sie ihm entgegen, stellte fest, dass seine Uniformjacke nachlässig zugeknöpft war und die Mütze schief auf dem Kopf saß.
    »Wie kannst du einfach an den Strand kommen? Du weißt doch, dass Zivilpersonen den Strand nicht betreten dürfen.«
    »Ich hab’s vergessen.«
    »Was hattest du mit Kamerad Martensen zu besprechen? Woher kennst du ihn überhaupt?«
    Aletta wollte darauf nicht antworten. »Wieso kannst du einfach deinen Posten verlassen?«, wich sie aus.
    Jorit winkte ab. »Es ist nichts los! Und niemand erwartet einen Angriff. Der Krieg findet woanders statt.

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