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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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aufmerksamen Blick. Er schien zu den Männern zu gehören, die sich erst mit lauten Reden einen Platz an der Macht erobern müssen, ehe sie sich der Konfrontation mit einer Frau gewachsen fühlten. Zum Glück schien er kein Freund des Theaters zu sein, denn er ließ nicht erkennen, dass er wusste, wen er vor sich hatte. »Charmant, mein lieber Lauritzen! Lassen Sie das Ihre Schwiegermutter nicht merken!«
    Aletta sah, dass Jorit eine Bemerkung auf der Zunge hatte, die ihn entlasten sollte, aber der Oberleutnant ließ ihn nicht zu Wort kommen. Mit einer zackigen Bewegung der rechten Hand beendete er die Konversation mit dem Gefreiten Lauritzen und ging weiter, nachdem Jorit sich in angemessener Form von ihm verabschiedet hatte.
    Aletta schwieg so lange, bis Willem Schubert verschwunden war. »Sönke hat keine alte Tante«, sagte sie dann.
    Während sie heimging, riss Aletta sich gewaltsam Sönkes Namen aus dem Gedächtnis. Er hatte keine Verwandten, er konnte nicht derjenige sein, der als Deserteur verhaftet worden war. Niemand auf Sylt würde bereit sein, ausgerechnet ihn zu verstecken, für das Findelkind Sönke Leben und Freiheit aufs Spiel zu setzen. Sönke wurde zwar von allen gemocht, aber er hatte keine festen Bindungen. In seinen Pflegestellen hatte er keine Familien gefunden, und von Dirk Stobart konnte er keine Hilfe erwarten. Er würde sich weiterhin in den Dünen versteckt halten müssen.
    Aletta wurde das Herz schwer. Dort würde man Sönke über kurz oder lang finden. Wenn nicht Willem Schubert oder die Soldaten der Inselwache, dann irgendein Sylter Bürger, der Angst vor dem Feind nicht gelten ließ. Sönke war verloren. Schon jetzt! Das hilflose Kind, das sie von der Kirchentreppe gehoben hatte, würde nicht erwachsen werden dürfen.
    Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken an Sönke zu vertreiben. Tatsächlich gelang es ihr, weil der Gedanke an Jorit so überragend war, dass alles andere leicht daneben verblasste. Warumverlor sie mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie sie Jorit vertraute, kein Wort über ihre Schuld, über ihre Diebstähle, über Dirk Stobarts Erpressungen, über ihre Nächte auf dem Friedhof und den Toten, der nicht ins Grab der Familie Mügge gehörte? War Scham eine Begründung, die Jorit gelten lassen würde, wenn er davon wüsste?

VIII.
    Mit vierzehn Jahren wurde sie aus der Schule entlassen und in eines der neuen Hotels geschickt, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden gewachsen waren. Aletta musste Geld verdienen. Die paar Pfennige, die sie nach den Besuchen bei Vera Etzold nach Hause brachte, waren nun nicht mehr genug. Was sie als Zimmermädchen verdiente, würde jedoch reichen, um bei den Eltern einen angemessenen Betrag abzuliefern. Den Rest sollte sie zurücklegen für die Aussteuer, die sie über kurz oder lang brauchen würde.
    Vera Etzold wollte versuchen, Aletta eine Stelle im »Miramar« zu verschaffen, aber das hätte für die Lornsens bedeutet, nach den Sternen zu greifen. Insa war für ihre kleine Schwester sogar voller Hohn gewesen. »Sieh mal an! Die Kleine will hoch hinaus! Im ›Miramar‹ kennt sie sich ja schon bestens aus!«
    Diesmal hatte sogar der Vater zugestimmt, der sich sonst gern heraushielt und durch Schweigen Zustimmung oder Ablehnung ausdrückte, je nachdem was von ihm erwartet wurde. Geert Lornsen schwieg oft, war wohl immer schon ein schweigsamer Mensch gewesen, machte im Verlauf seines Lebens jedoch das Schweigen zu einem Raum, den es in seinem Hause nicht gab: vier Wände nur für ihn allein.
    Witta Lornsen war es also, die sich darum kümmerte, dass ihre Tochter Aletta eine Anstellung fand. Schwer war es nicht. Mittlerweile gab es fast dreißig Hotels in Westerland, die großenBedarf an Personal hatten. Die meisten Hoteliers waren keine Sylter, sondern vom Festland gekommen, um im aufblühenden Erquickungsgewerbe, wie es genannt wurde, Geld zu verdienen. Sie waren den Syltern schon bald finanziell haushoch überlegen, die nur schwerfällig den Weg in einen größer dimensionierten Handel und in ein saisonunabhängiges Gewerbe fanden, das dem Fremdenverkehr diente. Zimmervermieter gab es unter ihnen zwar mittlerweile reichlich, auch neue Kolonialwaren- und Delikatessgeschäfte waren entstanden, Bäckereien, Schlachterläden und Fischhandlungen hatten sich vergrößert, sogar Textilgeschäfte und Läden mit Galanteriewaren, Strandartikeln und Reiseandenken gab es nun. Die großen Hotels jedoch wurden von Geschäftsleuten

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