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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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gegründet und geführt, die vom Festland gekommen waren und auf Sylt ihre Chance gesehen hatten.
    Auch der Besitzer des »Grand Hotel« war kein Sylter, sondern stammte aus Hamburg. Er hatte sein Haus in der Nähe des Südbahnhofs errichtet, direkt am Strand, wie es die Feriengäste gernhatten, und warb mit Hamburger Küche und gepflegten Weinen. Er konnte ein Zimmermädchen brauchen, und so trat Aletta schon zehn Tage nach ihrem letzten Schultag dort ihren Dienst an.
    Sie weinte, als sie Vera Etzold davon erzählte. »Zimmermädchen! Dabei will ich doch Sängerin werden!«
    Vera zog sie in ihre Arme, was sie noch nie getan hatte. Und Alettas Tränen versiegten im Nu, als sie Veras Duft einatmete, den weichen Stoff ihres Kleides an ihrer Wange spürte und die zarten, gepflegten Hände auf ihrem Rücken, die niemals fest zugriffen. Auch bei der Begrüßung legten sie sich nur sanft in die Handfläche ihres Gegenübers, ohne die Finger zu krümmen.
    »Wenn deine Eltern dir bisher den Gesangsunterricht erlaubt haben«, tröstete sie vorsichtig, »werden sie es sicherlich auch in Zukunft tun. Wir müssen uns natürlich nach deinen Arbeitszeiten richten, aber das wird schon gehen.«
    Aletta löste sich von ihrer Brust, dachte an das Geld, das sie inihrem Zimmer versteckt hielt, und war nun zuversichtlich, dass sie die Erlaubnis erhalten würde, auch zukünftig ins »Miramar« gehen zu dürfen.
    »Frau Etzold will mir mehr bezahlen«, behauptete sie, als sie ihrer Mutter erklärte, dass die reiche Frau, der sie dreimal pro Woche vorlas, nicht auf ihre Dienste verzichten wollte. »Weil ich jetzt kein Kind mehr bin, bekomme ich doppelt so viel.«
    Nun war sie sogar froh, dass Dirk Stobart sie gezwungen hatte, mehr und immer mehr Geld zu stehlen. Ihre Ersparnisse waren zu einer beachtlichen Summe angewachsen, sie würde ihrer Mutter demnächst ohne weiteres mehr Geld auf den Küchentisch legen können, wenn sie aus dem »Miramar« zurückkehrte.
    Witta Lornsen war einverstanden und lobte sogar den Eifer ihrer jüngsten Tochter, und Insas Fragen nach der Lektüre, die der reichen Frau Etzold zu Gemüte geführt wurde, konnte Aletta zum Glück ausweichend beantworten. So trat sie ihren Dienst im »Grand Hotel« in der sicheren Erwartung an, dass ihr ein Intermezzo bevorstand, das für ihr Leben keine Bedeutung haben würde. Vera Etzold hatte gesagt, sie brauche noch ein paar Jahre, vier oder fünf, dann sei sie so weit, die Welt der Theater und Konzertsäle zu betreten. Diese Zeit, die sie als Zimmermädchen im »Grand Hotel« verbrachte, würde sie dann schnell vergessen.
    Die Hausdame des Hotels hieß Weike Broders, sie war dafür zuständig, die neuen Zimmermädchen anzulernen. Eine Frau von Mitte zwanzig, die mit Boncke Broders, einem Dünenbepflanzer, verheiratet war, der gerade erst neunzehn geworden war. Zu ihrem Leidwesen verdiente er so wenig, dass sie gezwungen war, zum Familieneinkommen beizutragen. Dabei wollte sie nichts lieber, als so bald wie möglich Mutter werden und dann auf die Arbeit im Hotel verzichten zu können. Weike hätte es gern gesehen, dass ihr Mann sich eine Stelle im Baugeschäft suchte, wo neuerdings zahlreiche Einheimische zu guten Löhnen beschäftigt wurden, oder im Hotel- oder Restaurantgewerbe, wo ebenfalls gut gezahlt wurde. Aber Boncke Broders schien sich wederfür das eine noch für das andere zu eignen und blieb, was er war. Nur gelegentlich söhnte er seine Frau damit aus, dass er als Nachtportier in einem Westerländer Hotel aushalf und damit für zusätzlichen Lohn sorgte. Den legte Weike auf die hohe Kante, damit sie etwas für ihr erstes Kind hatte, auf das sie sehnsüchtig wartete.
    Aletta war von Anfang an ihr Liebling. Sie bekam immer die leichtesten Arbeiten aufgetragen, und mit ihr unterhielt Weike sich gerne, wenn sie eine Pause einlegten. Aletta genoss es, nun wie eine Erwachsene behandelt zu werden und nicht mehr wie ein Schulkind. Dazu gehörte auch, dass Weike mit ihr über Probleme redete, von denen Aletta noch nie etwas gehört hatte. Im Hause Lornsen wurde nicht über Sexualität gesprochen; was Aletta darüber wusste, hatten ihr Gleichaltrige ins Ohr getuschelt, andere widerrufen und Ältere besser gewusst. So hatte sie zwar diffuse Kenntnisse von dem, was sich zwischen Mann und Frau abspielte, wusste aber nichts Genaues.
    Von Weike erfuhr sie alles, was ihr bisher dahin nicht klar gewesen war. Und sie erfuhr auch von den Schwierigkeiten, die daraus erwachsen konnten.

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