Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
Vom Netzwerk:
berühmte Sängerin an ihrem Schicksal Interesse zeigte.
    Als sie weit genug entfernt war, raunte Aletta: »Gut, dass es in der Familie Mügge keinen Alten gibt, der demnächst beerdigt werden könnte. Der junge Mügge musste an die Front. Wenn er fällt, wird er auf einem Soldatenfriedhof seine letzte Ruhe finden.« Die Übelkeit, die ihr mittlerweile vertraut war, stieg wieder in ihr hoch. Sie atmete tief ein, ehe sie sagte: »Sie haben Glück, Herr Stobart! Ich habe gehört, dass Leute wie Sie in Soldatenkreisen nicht gern gesehen werden.«
    »Ich habe sogar gehört, dass sie gequält und misshandelt werden«, kam es mit gepresster Stimme zurück.
    »Dann ist es ja gut, dass niemand davon weiß. Für den Fall, dass der Krieg länger dauert und Sie doch noch an die Front müssen.«
    Nun sah er so erschrocken aus, als wäre ihm diese Idee noch nicht gekommen. »Dann würde ich abhauen. So wie Sönke.«
    Aletta wollte eigentlich weitergehen, denn das Gespräch wurde ihr zu persönlich, sie zögerte aber, weil ihr ein Gedanke kam. »War es Ihre Idee, dass Sönke sich verstecken sollte? Wollten Sie nicht auf ihn verzichten? Wissen Sie, wo er ist?«
    Aber Dirk Stobart schüttelte den Kopf. »Ich habe große Angst um ihn. Zwar kennt er sich auf Sylt gut aus, aber er wird gesucht. Ein Fehler, und sie haben ihn. Selbst wenn sein Versteck gut ist, er muss es hin und wieder verlassen, um sich etwas zu essen zu besorgen.«
    Aletta dachte an die Entenjäger, die der Inselwache ein Dorn im Auge waren, und ein Schauer der Angst zog über ihren Körper. Wieder spürte sie den Säugling in ihren Armen, die weiche Haut an ihrer Wange und litt noch einmal unter seiner Hilflosigkeit, wie sie jetzt unter seiner Angst litt, obwohl sie von Sönke kaum etwas wusste. Doch ihre heimliche Gemeinschaft, die in den ersten Stunden seines Lebens entstanden war und von der er nichts wusste, hatte ein Band geknüpft, das Sönke selbst niemals in der Hand halten würde. Doch es war da. Das spürte Aletta ganz deutlich, der die Sorge um Sönke wehtat, als wäre er ihr nahe.
    Sie ließ Dirk Stobart stehen und beschloss, noch nicht nach Hause, sondern zurück zum Meer zu gehen. Sie wollte den Strandübergang am Ende der Damenbadstraße nehmen, weit vom »Miramar« entfernt, wo die Erinnerung an ihr altes Leben wohnte. Und die Erinnerung an Ludwig.
    Als sie am »Grand Hotel« vorbeiging, trat eine Frau aus einem Nebeneingang, und diesmal wusste Aletta ganz sicher, wen sie vor sich hatte. Entschlossen trat sie auf Weike Broders zu. »Wie schön, dich wiederzusehen!«
    Als Weike den Kopf hob, musste Aletta ihr Erschrecken verbergen. Weike war nicht zehn, sondern mindestens zwanzig Jahre gealtert. Obwohl sie erst Mitte dreißig war, sah sie aus wie eine Fünfzigjährige. Ihr Haar wies bereits graue Strähnen auf, ihre Haut die ersten Falten, die das Leben in ein Gesicht gezeichnet hatte, in dem es keine Fröhlichkeit und kein Lachen mehrgab. Furchen zogen die Mundwinkel herab, Querfalten runzelten ihre Stirn, als gäbe es für Weike Broders viele Gründe, sich zu grämen.
    Sie knickste, was Aletta noch mehr bestürzte als ihre äußerliche Veränderung. »Guten Tag, gnädige Frau. Sehr freundlich, dass Sie mich ansprechen!«
    Aletta griff nach ihren Armen. »Ich bin’s! Aletta! Erkennst du mich nicht?«
    »Doch! Natürlich!«
    Weike senkte den Blick wieder und nestelte an der weißen Schürze herum, die sie über den Arm gehängt hatte. Vermutlich, um sie zu waschen und zu bügeln, damit sie am nächsten Tag dem »Grand Hotel« Ehre machte.
    Aletta verstand nun, was Weike zusetzte. »Ich bin keine andere geworden, Weike, nur weil ich nun Sängerin bin.«
    »Eine berühmte Sängerin«, korrigierte Weike und wagte noch immer nicht aufzublicken.
    Aletta spürte, sie würde noch so oft zusichern können, dass ihr Ruhm nichts zwischen ihnen verändert hatte – wenn Weike glauben sollte, dass ihr die gemeinsame Erinnerung etwas bedeutete, dann musste sie ihr zeigen, dass sie nichts vergessen hatte. So schwer es ihr fiel. Unauffällig wickelte sie den kostbaren fliederfarbenen Seidenschal vom Hals, den sie ausgerechnet heute wieder vom Haken genommen hatte und ließ ihn in der geschlossenen Hand verschwinden, während sie fragte: »Hast du je wieder von Boncke gehört?«
    Tatsächlich veränderte sich nun etwas in Weikes Gesicht. Sie blickte auf und lächelte zaghaft. »Sie erinnern sich?«
    »Bitte, sag du zu mir. So wie früher.«
    »Du erinnerst dich?«,

Weitere Kostenlose Bücher