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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Kind« nennen und väterlich umarmen, während Insa mit ihrem Namen angesprochen wurde und einen Handschlag erhielt. Während er Aletta beim Kohlschneiden zusah, erzählte er ihr von zwei weiteren Opfern des Krieges, von dem Leid der Angehörigen, dem Trost, den er spenden musste, und leitete dann zu den Ereignissen im Hause Mügge über, wo der Geburt des jüngsten Familienmitgliedes entgegengesehen wurde. Aletta betrachtete seine Hände und seine Fingernägel. Glichen sie ihren eigenen? Sie beobachtete das Beben seiner Nasenflügel und fragte sich, ob ihre sich genauso verhielten, wenn sie konzentriert war. Und sie sah so lange auf seine langgezogenen Ohrläppchen, bis sie zu der Überzeugung gelangte, dass sie sich von ihren eigenen deutlich unterschieden. Erneut fühlte sie die Verunsicherung, die sie angefallen hatte, als sie auf das Tagebuch ihrer Mutter gestoßen war, diesen schrecklichen Verlust ihrer eigenen Identität, seit sie nicht mehr sicher sein konnte, wo ihre Wurzeln lagen. Würde sie je der Wahrheit auf die Spur kommen?
    In ihren schweren Gedanken hatte sie nicht bemerkt, dassdas Gesicht des Pfarrers ernst geworden war. Er sprach leise, so leise, als hätte er gerne darauf verzichtet, über diesen grausamen Vorfall zu reden: »Heute Morgen bei Tagesanbruch ist Josef Johannsen erschossen worden. Man hat ihn im Keller seiner Tante gefunden, wo er sich versteckt hielt, weil er nicht an die Front wollte. Die alte Sefa ist eingesperrt worden. Lebenslang soll sie sitzen, weil sie barmherzig sein wollte. Sobald wieder ein Schiff geht, soll sie in ein Zuchthaus auf dem Festland überstellt werden. Ich frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, sie auch zu erschießen. Die arme Sefa war noch nie auf dem Festland.«
    Insgeheim hatte Aletta darauf gehofft, auch Jorit anzutreffen. Der Dienst der Inselwache forderte die Männer nicht besonders, gelegentlich waren sie in der Stadt zu sehen und wurden manchmal sogar dabei beobachtet, wie sie sich in den Dünen sonnten oder während des Dienstes in ihren Häusern nach dem Rechten sahen. Einen Angriff schienen sie nicht zu erwarten, und auch die Bevölkerung von Sylt wiegte sich mehr und mehr in Sicherheit. Von einer alliierten Großlandung in Nordjütland war nicht mehr die Rede und von der Beschießung der Sylter Westküste, die in diesem Zusammenhang befürchtet worden war, auch nicht. Der Inselkommandant warnte zwar immer noch, aber wenn die Sylter das sorglose Gebaren der Inselwache beobachteten, wollten sie nicht recht daran glauben. Die vier Kompanien, die von List bis Hörnum für eine lückenlose Kontrolle des Strandes zu sorgen hatten, standen in dem Ruf, sich mehr um das Sammeln von Möweneiern und Strandgut zu kümmern als um ihre militärischen Aufgaben. Auch beim Baden waren die Soldaten der Inselwache schon gesichtet worden.
    Aletta hatte sich entschlossen, nicht direkt zur Paulstraße, sondern zunächst zum Rathaus zu gehen, um nach den Bekanntmachungen zu sehen. Der Bürgermeister Dr. Frommhold ersuchte seine Bürger in vielfältiger Form, diese Bekanntmachungenregelmäßig zu studieren und sich nach ihnen zu richten. »Unwissenheit schützt vor Strafe nicht!«, hatte er in einer Versammlung erklärt, die im Rathaus abgehalten worden war, weil Dr. Frommhold es für nötig hielt, seine Mitbürger zur Vorsicht und Umsicht zu ermahnen. Dass die Inselwache bisher keine anlandenden Feinde gesichtet hatte, hieß nicht, dass Sylt vom Krieg verschont blieb. Und Dr. Frommholds Sorge, dass Spione über Sylt nach Deutschland eingeschleust wurden, war besonders groß.
    Tatsächlich gab es wieder eine neue Bekanntmachung, als Aletta vor dem Rathaus ankam.
    Auf Ersuchen der Inselkommandantur wird Folgendes bekannt gemacht:
    Von Wachposten und Patrouillen sind des Nachts in den Dünen bei Westerland und auf Häusern Westerlands Lichter beobachtet worden, die den Verdacht erweckt haben, dass sie landesverräterischen Zwecken dienen oder die Posten irreführen sollen und deren Herkunft nicht hat festgestellt werden können, weil sie bei Verfolgung erloschen. Die Posten und Patrouillen sind angewiesen worden, auf solche Lichter zu schießen.
    Es wird ferner eindringlich davor gewarnt, an Posten und Patrouillen heranzutreten oder eine Unterhaltung mit ihnen anzuknüpfen, sofern nicht Gründe der militärischen Sicherheit hierfür gegeben sind. Zuwiderhandelnde werden festgenommen.
    Die Polizei-Verwaltung Dr. Frommhold
    Aletta drehte sich um. Prompt wichen zwei

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