Sturm über Sylt
Martensen würde sich kein zweites Mal abspeisen lassen. Schon hörte sie seinen Stuhl rücken, er schien sich erheben zu wollen.
Er räusperte sich, ehe er sagte: »Ich habe mit deiner Schwester gesprochen ...«
Prompt war es vorbei mit Insas Abgeklärtheit. »Lass Aletta aus dem Spiel! Sie hat nichts damit zu tun.«
»Natürlich nicht«, entgegnete Reik mit unnatürlicher Freundlichkeit. »Sie war ja damals noch nicht geboren.«
»Warum also redest du mit ihr?«
»Es hat sich so ergeben.« Aletta hörte Reiks Schritte, als bewegte er sich auf die Küchentür zu. »Sie ist übrigens eine interessante Frau. Sie gefällt mir.«
Insas Stimme wurde schrill. »Ich will, dass du sie in Ruhe lässt.«
Aber Reik ließ sich nicht beirren. »Sie meint, deine Eltern könnten dir verboten haben, mich zu lieben, weil es einen Streit zwischen unseren Vätern gegeben hat. Weißt du etwas darüber?«
Die Geräusche, die nun in den Garten drangen, waren so heftig, als würde Reik von Insa angegriffen. »Ich sag’s dir noch einmal: Lass Aletta aus dem Spiel! Hast du mich verstanden?«
Ob Reik sich Insas Forderung beugen wollte, erfuhr Aletta nicht mehr. Sie lief ums Haus herum und machte sich an den Rosen im Vorgarten zu schaffen, die voller vertrockneter Blüten waren. Einige hatte sie schon entfernt, als sich die Haustür öffnete und Reik herauskam, gefolgt von Insa, die die Tür heftig hinter ihm zuschlug.
Reik blieb neben Aletta stehen und sah ihr eine Weile bei der Arbeit zu, bis sie den Eimer mit den vertrockneten Blüten zur Seite stellte und aufblickte. »Ich verstehe Insa nicht«, sagte er leise. Dann verbeugte er sich leicht, ohne eine Entgegnung abzuwarten,trat durch das Gartentor und ging die Stephanstraße hinab. Aletta hatte ihm lange nachgesehen und zögernd die Frage zugelassen, ob Insa sie verteidigt hatte, als sie von Reik verlangte, ihre Schwester nicht mit ihrem Problem zu behelligen. Was hatte Insa damit bezweckt? Wollte sie ihre Schwester beschützen oder aus ihrem Leben heraushalten? Sosehr Aletta sich nach dem einen sehnte, so wenig konnte sie das andere ausschließen. Und das war nicht die einzige Frage, die unbeantwortet blieb. Warum gab Insa nicht zu, dass sie damals unter der Trennung von Reik gelitten hatte? Warum machte sie ihm weis, er hätte ihr nichts mehr bedeutet? Das Tagebuch ihrer Mutter sprach eine andere Sprache. Dort hieß es, Insa sei unglücklich und voller Sehnsucht gewesen und habe versucht, Briefe zu schreiben. An wen? Natürlich an den Jungen, den sie liebte! An Reik! Und nach ihrer Rückkehr sei sie sofort nach Wenningstedt geradelt. Das konnte nur bedeuten, dass sie Reik besuchen wollte. Warum durfte er nicht erfahren, dass sie ihn vermisst hatte?
Insa kam aus dem Haus, einen großen Steinguttopf im Arm, in der anderen Hand einen Krautstampfer. Sie ging zu Aletta, die das Messer in den Erinnerungen zur Seite gelegt hatte und nun schleunigst wieder zur Hand nahm.
»Wo warst du?«, fragte sie, ohne ihre Schwester anzusehen.
Insa runzelte die Stirn. »Hast du mich gesucht?« Sie wartete Alettas Antwort nicht ab. »Ich war im Keller. Salz holen fürs Sauerkraut.«
Sie stellte den Steinguttopf auf den Tisch und zeigte Aletta den Krautstampfer. »Ich darf wohl davon ausgehen, dass du noch nie selber Sauerkraut gemacht hast?«
Aletta nickte. »Aber ich weiß noch, wie Mutter es gemacht hat. Sie hat es mir erklärt. Der Krautstampfer zieht den Saft aus dem Weißkohl. Das Salz setzt diesen Prozess fort und konserviert den Saft.«
»Wichtig ist, dass keine Luft zwischen dem frischen Kohl bleibt«, ergänzte Insa. »Vier bis sechs Wochen muss er gären.«
Aletta nickte wie ein gehorsames Schulkind. »Mutter hat einen schweren Stein auf das Kraut gelegt.«
Unvermittelt nahm Insa Alettas Frage wieder auf. »Und du? Wo warst du heute Nachmittag?«
Aletta schichtete den geschnittenen Weißkohl in den Topf, während sie antwortete: »Bei Beeke Lauritzen. Ich hatte sie noch nicht begrüßt.«
Insa zog die Mundwinkel herab. »Beeke wird es nicht leichthaben, seit Jorits Schwiegereltern auf Sylt sind. Tommas Mutter ist sehr anstrengend.«
Aletta hätte gern mehr erfahren, aber in diesem Moment betrat Pfarrer Frerich den Garten. »Ich wollte mal nach den Schwestern schauen«, sagte er und gab sich launig und heiter. »Aber ich sehe, es ist alles in Ordnung.«
Aletta fragte sich, woran er das zu erkennen glaubte, doch sie nickte. Und sie ließ sich ein weiteres Mal von ihm »Mein
Weitere Kostenlose Bücher