Sturm über Sylt
und drückte und schüttelte sie. »Wir haben Sie vor Jahren in Hamburg gesehen! Als Turandot! Großartig!«
Sie mochte Mitte fünfzig sein, war sehr schlank, hatte ein schmales Gesicht mit einer spitzen Nase und kleinen, flinken Augen. Ihre Haare, die nur wenige graue Strähnen aufwiesen, lagen in kunstvollen Wellen eng am Kopf. Sie trug ein schlichtes graues Strickkleid, dazu eine lange Perlenkette. Eine elegante Frau, die sich bemüht hatte, ihrem Äußeren etwas Schlichtes, Unauffälliges zu geben, ohne gänzlich auf ihren Schick zu verzichten.
Aletta wurde an ihre eigene Ankunft auf Sylt erinnert. Auch ihr war es wichtig gewesen zu zeigen, was sie erreicht hatte, aber zum Glück hatte Ludwig dafür gesorgt, dass sie es mit der Prachtentfaltung nicht zu weit trieb. Dass sie nun hier in dem alten dunklen Kleid ihrer Mutter saß, schien genau richtig zu sein, obwohl ihr Gegenüber einen kritischen Blick über ihre Figur fliegen ließ. Den Gedanken an ein ähnliches graues Kleid, das in Wien in ihrem Schrank hing, schüttelte Aletta schnell wieder ab. Der Krieg würde bald vorbei sein! Ludwig hatte es gesagt.
Beeke stand auf, was Aletta erst gelang, als die Frau ihre Hand endlich losgelassen hatte. »Maike Peters«, stellte Beeke vor. »Tommas Mutter.«
»Tommas unglückliche Mutter«, korrigierte Frau Peters. »Was meiner armen Tochter widerfahren ist ...« Ihre eben noch hocherfreute Miene verdüsterte sich schlagartig. »Sicherlich möchten Sie Tomma kennenlernen?« Eine Antwort wartete sie nicht ab, sondern tuschelte Aletta vertraulich entgegen: »Ich weiß natürlich, dass Sie mal mit meinem Schwiegersohn befreundet waren.« Sie kicherte hektisch und ohne jede Fröhlichkeit. »Oder wie sollte man es nennen?«
Aletta spürte, dass sich Widerstand in ihr regte, ein Trotz, als würde ihr etwas vorgeworfen, an dem sie unschuldig war. »Wir waren mal ineinander verliebt«, sagte sie, ohne eine Mienezu verziehen. »Das ist lange her. Damals waren wir noch sehr jung.«
Maike Peters kicherte erneut, noch immer voller Anspannung und Nervosität. »Ich weiß! Jorit ist stolz darauf, dass er mit einer so berühmten Sängerin ...« Sie vervollständigte den Satz nicht, da ihr offenbar noch immer kein Wort passend erschien für das, was Aletta und Jorit einmal verbunden hatte. Alettas deutliche Worte mochte sie anscheinend nicht wiederholen.
Aletta beschloss, sich so bald wie möglich zu verabschieden. Zwar hatte sie die Hoffnung gehabt, sich mit Beeke zu unterhalten, bis Jorit von seinem Dienst bei der Inselwache zurückkehrte, aber jetzt wollte sie nur noch weg.
Beeke spürte, wie unangenehm Aletta die Anwesenheit von Maike Peters war, und wollte ihr helfen. »Du hast sicherlich wenig Zeit, Aletta. Die einquartierten Soldaten machen viel Arbeit.« Sie lächelte schief. »Und bringen wenig Geld.«
Maike Peters griff sich entsetzt ans Herz. »Sie müssen für diese Soldaten arbeiten? Sie womöglich bedienen? Das ist unzumutbar. Sie sind eine große Künstlerin.«
Nun reichte es Aletta. »Zurzeit bin ich das, was alle Frauen sind, die versuchen, Haus und Heim zu retten, bis die Männer aus dem Krieg zurück sind.«
»Sie sind verheiratet?«, fragte Maike Peters zurück. »Das wusste ich nicht.«
Aletta gab darauf keine Antwort. Sollte Jorits Schwiegermutter doch denken, was sie wollte! Sie empfand wie Ludwigs Frau, sie fühlte sich wie seine Frau, sie bekam sein Kind, als wäre sie seine Ehefrau, und bald würde sie es tatsächlich sein! Maike Peters kam ihr nicht wie eine Person vor, die Verständnis für eine Lebensform hatte, die in Künstlerkreisen nichts Besonderes war. Ihre hochgezogenen Augenbrauen hätten vermutlich bis zum Haaransatz gereicht, wenn sie zu hören bekommen hätte, dass die gefeierte Sängerin ein unstetes Leben führte und als Folge davon ein uneheliches Kind erwartete.
Sie wollte sich mit einem kurzen und unverbindlichen Nicken von Maike verabschieden, als der Hausdiener plötzlich die Tür aufriss. Ein hölzerner Rollstuhl wurde von einem Mann hereingeschoben, in dem Aletta Tommas Vater erkannte. Er war ebenso schlank und elegant wie seine Frau, ihm fehlte jedoch das Strenge, das Maike Peters ausstrahlte. Als Aletta zusammen mit Emme am Südbahnhof der Ankunft von Jorits Frau entgegengesehen hatte, war ihr gleich das Ungezwungene, Heitere an Tommas Vater aufgefallen. Deswegen erkannte sie ihn, obwohl sie ihn nur von ferne gesehen hatte, während ihr der Anblick von Maike Peters nicht im
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