Sturm über Sylt
Gedächtnis geblieben war.
Dr. Ocke Peters zögerte, als er seine Frau in der Gesellschaft von Beeke und Aletta vorfand, auch über sein Gesicht flog das Erkennen, als er Aletta anblickte. Aber er enthielt sich einer Äußerung, als spürte er, was in ihr vorging. Sie wollte nicht zulassen, dass sich die Aufmerksamkeit auf sie richtete, während Tomma Lauritzen in ihrem Rollstuhl lehnte und mit leerem Blick an die Wand starrte. Ihr Vater hatte sie in Decken gehüllt und ihr ein gestricktes Tuch über den Kopf gelegt. Tommas Gesicht stach weiß unter der dunklen Wolle hervor, ihre Gesichtshaut war fahl, die Augen hatte sie unnatürlich weit aufgerissen. Ihr rechter Mundwinkel hing herab, ein dünner Speichelfaden sickerte in die Decke.
Aletta wurde von einer Welle des Mitleids erfasst, das nicht nur Tomma, sondern auch Jorit galt. Sie machte einen Schritt auf den Rollstuhl zu und legte ihre Hand auf die Decke, dorthin, wo sie Tommas Hand vermutete. »Es tut mir so leid«, flüsterte sie.
Ocke Peters nickte ihr freundlich zu, dankbar und zufrieden, als hätte er etwas anderes erwartet. Er blieb stumm, während seine Frau begann, Tommas Leidensgeschichte zu schildern, ihr unbeschwertes Leben vor dem Schlaganfall und ihre eigene mütterliche Verzweiflung, die sie Tag für Tag überkam, wenn sie ihr Kind in diesem hilflosen Zustand sehen musste. Ihr Mann versuchte mehrmals, sie zu unterbrechen, aber es gelang ihm nicht.
Erst das Erscheinen von Oberst von Rode änderte etwas. Er hatte sich anscheinend mit seinem alten Freund Dr. Peters verabredet, denn er begrüßte Maike nur flüchtig und entschuldigte sich bei Ocke Peters, dass er leider verhindert sei und ihr Schachspiel auf einen anderen Tag verschoben werden müsse.
Maike Peters versuchte, das Gespräch an sich zu reißen, indem sie den Oberst auf Aletta aufmerksam machte. »Sie kennen sicherlich die berühmte Sängerin Aletta Lornsen? Sie ist in ihre Heimat zurückgekehrt. Natürlich nur, solange Krieg ist.«
Aletta wäre es lieber gewesen, unerkannt das »Hotel Lauritzen« zu verlassen, aber nun blieb ihr nichts anderes übrig, als einen Schritt auf Oberst von Rode zu zu machen. Jetzt hätte sie doch gern ein anderes Kleid als das ihrer Mutter getragen, das der Oberst verwundert musterte. So zögernd nahm er ihre Hand und beugte sich so flüchtig darüber, als habe er Zweifel, der echten Aletta Lornsen gegenüberzustehen, die er womöglich schon in einem Theater beklatscht hatte.
»Ich bewundere Sie für Ihre Bescheidenheit«, sagte er und meinte wohl, dass ihn ihr Äußeres in Erstaunen versetzte.
Aber Aletta ließ sich nicht kränken. Sie konnte den Oberst sogar verstehen. Der fliederfarbene Seidenschal reichte einfach nicht aus, um die Erinnerung an den Frieden mit seiner Leichtigkeit zu wecken.
»Ich muss unbedingt meinem Freund Anton Heussner sagen, dass ich Sie getroffen habe.«
Mit diesem Satz veränderte er alles. Alettas Interesse war jäh geweckt, ihr Kleid spielte keine Rolle mehr, hastig griff sie nach ihrem Seidenschal wie nach ihrem alten Leben. »Haben Sie Kontakt zu ihm? Er wollte eigentlich in dieser Saison in der Hamburger Staatsoper dirigieren.«
»Er wollte?«, fragte der Oberst lachend. »Er wird!«
»Die ›Madame Butterfly‹ wird gegeben?«, fragte Aletta. »Obwohl Krieg ist?«
Oberst von Rode nickte. »Der Intendant ist eingezogen worden,aber Anton Heussner hat irgendwie Ersatz gefunden und kümmert sich selbst um alles. Sollten Sie nicht die Madame Butterfly singen?«
Aletta nickte. Ihre Rolle! »Wer wird mich ersetzen?«, fragte sie.
Aber dazu konnte Oberst von Rode nichts sagen. »Ich weiß nur, dass Anton nach Ihnen gesucht hat. Er behauptet, er habe ganz Wien abgeklappert, aber niemand konnte ihm sagen, wohin Sie geflohen sind.«
Aletta hatte Mühe, ihre Fassung zu bewahren und an ihrer Haltung festzuhalten, damit niemand merkte, wie schwer es ihr fiel, ihre Rolle einer anderen zu überlassen. »Bitte, grüßen Sie ihn von mir, wenn Sie ihn sehen oder von ihm hören sollten«, sagte sie förmlich.
»Kann schon sein, dass ich mit ihm telefoniere!«, rief Oberst von Rode. »Na, der wird staunen ...!«
Mit diesen Worten klopfte er Ocke Peters’ Rücken, verbeugte sich zunächst vor Maike Peters, dann vor Aletta, schlug die Hacken zusammen und verließ das Hotel wieder.
Maike Peters setzte auf der Stelle fort mit ihren Klagen über Tommas Zustand, während Beeke sich vorsichtig zurückzog und etwas von viel Arbeit in der
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