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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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nicht genauso viel Respekt erzeugt hatte, sprang durch ihren Kopf, wurde aber von Maike Peters’ Schicksal verjagt.
    »Sie hat ihren Mann während dieser Zeit kennengelernt«, erzählte Insa weiter. »Er hat sie sogar unterstützt. Als sie dennoch keinen Erfolg hatte, soll er mit ihr das Studium geteilt haben.«
    Aletta runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
    »Sie haben gemeinsam studiert. Maike Peters konnte zwar nicht zu den Vorlesungen gehen, aber Ocke hat ihr alles erzählt, was er im Hörsaal gelernt hatte. Und er hat ihr das Unterrichtsmaterial mitgebracht. Sie hat genauso gebüffelt wie er. Nur an dem praktischen Teil konnte sie natürlich nicht teilnehmen. Sie durfte nicht mit in die Pathologie, um Leichen zu sezieren, und sie konnte nicht im Krankenhaus als Assistenzärztin arbeiten, um für die Arbeit am Patienten gerüstet zu sein. Aber sie solleine hervorragende Theoretikerin geworden sein. Wenn es um schwierige Diagnosen geht, wendet sich Ocke Peters immer an seine Frau.«
    Aletta hätte das Gespräch gern fortgesetzt, aber sie wurden durch Geräusche aus dem Nachbargarten abgelenkt. Hinrika Oselich, die Nachbarin, war an den Zaun getreten. »Habt ihr’s gehört? Bei den Mügges ist ein kleiner Junge angekommen.«
    »Alles gesund?«, fragte Insa.
    Die Nachbarin zuckte die Schultern. »Genaues weiß ich nicht. Nur dass der Lütte da ist.«
    Aletta hatte sich nur kurz zu Hinrika umgeblickt und dann mit der Arbeit weitergemacht. Genauso, wie ihr die Erzählungen von Tommas Niederkunft zusetzten, wollte sie jetzt auch nichts von der Geburt des kleinen Mügge hören. Sie hatte Angst, dass Hinrika schreckliche Einzelheiten preisgab, dass sie von ihren eigenen Entbindungen zu reden anfing, die Schmerzen schilderte, Komplikationen anführte und am Ende den tiefen Seufzer von sich gab, den so viele Mütter beherrschten. »Was soll man machen? Da muss man durch.«
    Nein, das alles wollte sie nicht hören, deshalb kehrte sie Hinrika Oselich den Rücken zu und konzentrierte sich wieder auf den Weißkohl. So erkannte sie nicht, was Insa sah. Aber sie wurde auf die Miene ihrer Schwester aufmerksam, die erst sehr konzentriert wurde, dann einen erschrockenen Ausdruck annahm und sich mit einem Mal verschloss. Es sah so aus, als wolle Insa aufspringen und ins Haus laufen.
    Hastig wandte sie sich ab, aber eine männliche Stimme hielt sie zurück: »Moin, Frau Lornsen! Kennen wir uns nicht? Ist schon lange her! Aber ich habe Sie nicht vergessen.«
    Widerwillig drehte Insa sich zurück. »Ich kann mich nicht erinnern«, antwortete sie, lehnte sich zurück und machte deutlich, dass sie nicht die Absicht hatte, aufzustehen und an den Zaun zu treten.
    Hinrika Oselich schien zu spüren, dass hier eine Bekanntschaftvertieft werden sollte, die nicht von beiden gleichermaßen begrüßt wurde, und zog sich hastig zurück. Ein Blick in Insas Gesicht sprach Bände.
    Der Mann in der Uniform eines Hauptmanns ließ sich jedoch nicht beirren. »Mein Name ist Eberhard Kalkhoff! Aus Buxtehude! Na?« In seinem runden Gesicht stand die Erwartung, dass in Insa nun die Erinnerung wach wurde, auf die er hoffte. Aber er wurde enttäuscht.
    »Ich war noch nie in meinem Leben in Buxtehude«, entgegnete Insa und machte deutlich, dass das Gespräch für sie damit beendet war.
    »Pension Kalkhoff!«, versuchte es der Hauptmann noch einmal. »Die können Sie nicht vergessen haben.«
    Nun lachte Insa sogar. »Pension? Sehe ich so aus, als könnte ich mir Sommerfrische auf dem Festland erlauben?«
    Nun ging in der Miene des Hauptmanns eine Veränderung vor, die Aletta sich nicht erklären konnte. Seine Augen verengten sich, eine schwere Kränkung erschien auf seinem Gesicht, sein Lächeln erlosch, als wäre es ihm aus dem Gesicht geschlagen worden. »Dann muss ich mich wohl geirrt haben«, sagte er schroff und ging ins Haus zurück, ohne sich zu verabschieden.
    Aletta sah, dass Insas Hände zitterten, als sie kopfschüttelnd meinte: »Hat man so was schon erlebt! Der ist beleidigt, weil ich nicht die bin, für die er mich hält. Leute gibt es!«

IX.
    Die österreich-ungarische Armee überschreitet die Drina. In einer zehntägigen Schlacht gelingt es ihr, eine Reihe von Brücken einzunehmen und die Serben zum Rückzug zu zwingen.
    Nichts wies darauf hin, dass dieser Tag anders enden sollte als die Tage vorher. Aletta war früh erwacht und erhob sich mit demVorsatz, einmal so zeitig in der Küche zu erscheinen, dass Insa sie ohne Vorwurf empfing.

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