Sturm über Sylt
Küche murmelte. Aber Maike Peters schien es nicht zur Kenntnis zu nehmen. Erst von Jorits Erscheinen ließ sie sich unterbrechen. »Sieh nur, Tomma! Dein Mann kommt!«
Tomma reagierte mit keiner Regung, als sie Jorits Stimme hörte. Er trat mit einem Gruß auf seine Schwiegereltern und seine Frau zu, dann erst bemerkte er Aletta. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, aus seiner kühlen Höflichkeit wurde echte Freude, und in seiner Miene war zu lesen, dass er viel Mühe aufwandte, um die Freude nicht erkennen zu lassen. Mit solcher Ehrerbietung nahm er Alettas Hand, dass Maike Peters prompt argwöhnisch die Stirn in Falten legte, und er sah ihr mit einer Intensität in die Augen, als wollte er sie daran erinnern, dass es besser war, ihre Freundschaft in Gegenwart anderer zu leugnen.Kurzum – Jorit benahm sich wie ein verheirateter Liebhaber, der seine heimliche Geliebte traf. Warum er seiner Schwiegermutter weismachen wollte, dass Aletta ihm in den vergangenen zehn Jahren fremd geworden war, konnte sie sich nicht erklären. Und dass es ihm nicht gelang, war ohne weiteres zu erkennen. Maike Peters’ Blick wanderte aufmerksam zwischen ihnen hin und her, und Aletta ging es daraufhin ähnlich wie Jorit: Sie gab etwas vor, als sollte etwas nicht sein, obwohl es nichts zwischen Jorit und ihr gab, was verheimlicht werden musste. Als sie erkannte, dass sie sich unwillkürlich Jorits Verhalten angepasst hatte, war es zu spät, den Eindruck, den sie auf Tommas Eltern machen musste, zurückzuholen und noch einmal neu zu beginnen. Aletta konnte an Maike Peters’ Miene ablesen, dass sie zwischen ihnen etwas Unrechtes zu sehen glaubte. Es hatte keinen Sinn, ihr zu erklären, dass weder Aletta noch Jorit ihrer Tochter etwas nehmen wollten. Jede Erklärung hätte alles noch schlimmer gemacht.
Aletta war verärgert, als sie sich verabschiedete. »Ich muss nach Hause, meine Schwester erwartet mich.«
Jorit nickte und machte damit den nächsten Fehler. Seine Schwiegermutter wies ihn darauf hin, indem sie so reagierte, wie es von Jorit zu erwarten gewesen wäre: »Wollen Sie nicht auf einen Tee bleiben?«
Aletta schüttelte den Kopf. »Ich hatte nur Beeke begrüßen wollen.« Sie sah Jorit nicht an, merkte dann, dass es falsch war, warf ihm daraufhin einen Blick zu, den er jedoch nicht erwiderte, und ärgerte sich erneut über die verfahrene Situation, in die sie geraten war, nur weil Jorit es für richtig befunden hatte, sie wie eine Fremde zu begrüßen. Jetzt wünschte sie sich doch, eines ihrer teuren Kleider zu tragen, ihren schönsten Hut auf dem Kopf zu haben und ihren Spazierstock mit dem kostbaren Silberknauf vor Maike Peters’ Augen spielen lassen zu können. Ein Abgang, der von rauschender Seide, dem Klacken hoher Absätze und dem Duft eines teuren Parfums begleitet worden wäre, hätte ihr nun gutgetan.
»Ist Ihr Mann auch bei der Inselwache?«, fragte Maike Peters, ehe Aletta sich abwenden konnte. »Oder musste er an die Front?«
Jorit beantwortete die Frage: »Aletta Lornsen ist nicht verheiratet.« Damit hatte er den nächsten Fehler gemacht, obwohl er die Wahrheit gesagt hatte.
Und Aletta setzte noch einen Fehler obenauf: »Sobald der Krieg vorbei ist, werde ich heiraten.«
Auch dies war die reine Wahrheit, hörte sich aber an wie eine Rechtfertigung. Als sie Maike und Ocke Peters zum Abschied zunickte, wusste sie, dass die beiden sich nun Sorgen um die Ehe ihrer Tochter machen würden.
Den Mann in Uniform, der eintrat, erkannte sie erst auf den zweiten Blick. Oberleutnant Willem Schubert! Und sie sah, dass Dr. Ocke Peters sich abwandte, während seine Frau ihm lächelnd entgegensah. »Haben Sie endlich alle Deserteure gefunden?«
Willem Schubert kam zu ihr und küsste ihr die Hand, die sie ihm auffordernd entgegenstreckte. »Es wird nicht mehr lange dauern, gnädige Frau. Bei den meisten ist es einfach. Sie haben Familie, Verwandte und Freunde auf Sylt, und wir brauchen nur deren Häuser abzuklappern. Schon haben wir die Burschen!«
Aletta verabschiedete sich hastig und trat auf die Paulstraße hinaus. Sie atmete tief durch, ehe sie sich auf den Weg machte. Wie konnte Jorit den Eindruck vermitteln, zwischen ihnen gäbe es ein Gefühl, das für einen verheirateten Mann und eine Frau, die von ihrem Verlobten ein Kind erwartete, unangemessen war? Zwischen ihnen gab es nichts, was unterschlagen werden musste! Nur das Wissen um das Geheimnis ihrer Mutter und dass sie Jorit vertraute wie sonst nur Ludwig.
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