Sturm ueber Thedra
kommen!" Ging deutete kurz zum Himmel. "Sturm!"
Teri sah in die Richtung, in die Ging gezeigt hatte. Hoch über dem Horizont schwebten im Nordosten einige zerrissene Wolkengebilde, mehr war nicht zu erkennen, aber schließlich war Ging der erfahrenste Wanderer von ihnen; wenn er nicht wußte, wann Sturm aufkam, wer sollte es dann wissen?
Eilig tappte Ging voraus. "Wir können es noch schaffen", murmelte er vor sich hin. "Die Grotte der Steinernen Frau wird uns schützen! Wir können es noch schaffen!"
Obwohl Gings Bewegungen so tapsig und unbeholfen wirkten, kam er doch erstaunlich schnell voran. Teri und Aganez blieben zurück, und Teri mußte all ihre Kräfte aufbieten, um den alten Magier bei seiner Kletterei zu unterstützen. Trotzdem dauerte es nicht lange, bis Ging außer Sicht war.
"Wenn es Sturm gibt, gibt es vielleicht auch Regen", keuchte Aganez. "Wasser behagt ihm nicht, deinem Freund!"
"Spar lieber deinen Atem! Halt dich dort fest", Teri wies auf ein Grasbüschel, "und zieh dich hoch!"
"Du magst ihn wirklich!" Aganez hörte einfach nicht auf zu reden, aber wenigstens kletterte er jetzt zügig. "Ich habe immer den Umgang mit Wanderern gemieden", Ein Stein brach unter seinem Tritt weg, und Teri riß am Seil, um einen Absturz zu verhindern. "Aber mittlerweile meine ich fast, man könnte sich an sie gewöhnen."
"Soll ich ihm das ausrichten?" Teri zog Aganez über die Felskante und stieg selbst zwei Mannslängen höher. "Hast du ihn als wertvollen Verbündeten erkannt? - Willst du ihn jetzt mit schönen Reden billig einkaufen? - Was planst du, Aganez?"
"Überhaupt nichts!" Aganez tat erstaunt. "Ich werde doch wohl noch meine Meinung ändern dürfen. Schließlich sind wir hier alle aufeinander angewiesen, da hat es doch keinen Sinn, die Zwietracht zu pflegen!" Er machte einen großen Schritt und schwang sich auf ein kleines Plateau.
Teri fiel zwar im Moment nicht ein, warum jemand auf Aganez angewiesen sein sollte; taktvoll wie sie war, sagte sie aber nichts, denn in einem hatte Aganez recht: Zwietracht und Streit kosteten nur unnötig Kraft! Dennoch fiel ihr bei Aganez' Freundlichkeit ein thedranisches Märchen ein, in dem eine Möwe mit verstellter Stimme zu einem Erdhörnchen spricht, nur, um dessen Junge zu rauben. Teri war auf der Hut, was die Äußerungen des Magiers anging. Sie hatte gelernt, dass er gern mit seinen Plänen hinter dem Berge hielt und mit seinen Reden immer etwas bezweckte.
"Hierher! Hier ist die Grotte! Hierher!" Ging stand auf halber Höhe des nächsten Hügels und winkte aufgeregt.
"Wir kommen!" Teri und Aganez beeilten sich, so gut sie konnten. Selbst Aganez gab still für sich zu, dass er ohne Gings Führung dieses natürliche Gewölbe nicht gefunden hätte. Der Eingang war unter einem überhängenden Fels verborgen und so flach, dass man nur auf Händen und Knien hindurchgelangte - aber als Wetterschutz würde die Grotte ideal sein.
Das strahlende Licht des hellen Tages war mittlerweile einem düsteren Blaugrau gewichen, obwohl keine Wolke am Himmel zu sehen war. Teri schien es, als habe sich die Luft selbst verfinstert. Die Sonne stand hoch am Himmel. Es war zwar erst kurz nach der Tagteilung, aber dennoch hatte sie fast ihre ganze Kraft verloren. Kanten und Rundungen aller Gegenstände traten seltsam deutlich hervor. Diffuse bläuliche Schatten lagen über der Landschaft und ließen das Weiß der fernen Berggipfel umso stärker hervortreten. Nicht direkt bedrohlich sah es aus. - Eher unwirklich, als sei es ein gemaltes Bild, bei dem der Maler alle verfügbaren Blautöne benutzt und großen Wert auf harte Kontraste gelegt hatte. Teri blieb einen Moment stehen, um das Bild in sich aufzunehmen, und auch Aganez konnte sich dem Zauber dieser blaugetönten Landschaft nicht ganz entziehen. Trotzdem war er es, der Teri in ungewohnt sanftem Ton daran erinnerte, dass es jetzt wohl bald Zeit werde, die Grotte aufzusuchen.
Teri mußte ihm recht geben. Ging war schon in die Höhle hineingerobbt, und jetzt, ohne weiteren Anhaltspunkt, war vom Eingang der Grotte kaum noch etwas zu erkennen. Teri und Aganez arbeiteten sich zu dem Punkt vor, an dem sie Ging zuletzt gesehen hatten.
Ein warmer Wind kam auf, der das Atmen erschwerte, und die Stille der Bergwelt wirkte plötzlich bedrückend. Es war, als sei die Natur in Erwartung des kommenden Unwetters erstarrt, und das Einzige, was sich klein und verletzlich den Hang eines Hügels hinaufarbeitete, waren die beiden Menschen, die sich
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