Sturm und Drang
Heilerin dieses Angebot vielleicht bedauert, wenn Dandelion erst einmal ihre sämtlichen Patienten vergiftet hat, aber ich verkneife mir die Bemerkung. Immerhin will Dandelion mir Geld leihen. Ich muss sie höflich behandeln, wenigstens ein paar Tage lang.
Dandelion trägt keine Schuhe. Der Anblick, wie sie auf nackten Füßen in meinem Zimmer herumtappt, flößt mir Unbehagen ein. Nackte weibliche Füße sind in Turai zwar nicht direkt ein Tabu, aber sie sind ein seltener Anblick. Der Blumenkranz auf ihrem Kopf dagegen ist wirklich anstößig. Sie hält Marihanas Kopf und flößt ihr ein wenig von der Medizin ein. Marihana ist vollkommen benommen, und etwas Flüssigkeit läuft ihr Kinn hinunter. Kein sehr anziehender Anblick. Makri legt Marihana die Hand auf die Stirn.
»Sie fiebert immer noch.«
»Besteht die Chance, dass sie bald stirbt?« Noch habe ich die Hoffnung nicht ganz aufgegeben.
Dandelion und Makri verschwinden kommentarlos im Schlafzimmer, um sich um Lisutaris zu kümmern. Ich spritze mir ein paar Tropfen Wasser ins Gesicht und werfe einen Blick auf die kleine Kommode hinter meinem Schreibtisch, wo ich Lisutaris’ Geschenk versteckt habe. Ich könnte einen großen Schluck Grandioses Abbot’s Starkbier vertragen, aber ich will nicht riskieren, es herauszuholen, solange Makri und Dandelion noch da sind. Ich habe nicht vor, es mit jemandem zu teilen.
Die beiden kommen aus meinem Schlafzimmer. Dandelion baut sich vor mir auf und sieht mich mit großen Augen an.
Ich gebe ihr einen zarten Wink. »Lass dich von mir nicht aufhalten.«
»Dandelion möchte dir etwas sagen«, erklärt Makri. Ihre Augen funkeln, was sofort meinen Argwohn weckt. Makri findet es immer amüsant, wenn Dandelions merkwürdiges Gebrabbel mich auf die Palme bringt.
»Ich bin beschäftigt.«
»Es ist sehr wichtig«, behauptet Dandelion. »Es geht um den Drachenpfad.«
»Um was?«
»Den Drachenpfad.«
Ich lege meine Stirn in viel sagende Falten. »So was gibt es nicht.«
»Gibt es wohl. Einer dieser Pfade verläuft direkt von der unterseeischen Grotte der Delfine durch die Rächende Axt bis zum Palast.«
Ich schüttle den Kopf. Drachenpfade sollen magische Kanäle der Macht sein, welche die ganze Erde überziehen. Billige Scharlatane, die manchmal in der Stadt auftauchen, bevor die Zaubererinnung sie wieder hinauswirft, schwafeln ständig davon. Sie versprechen gutgläubigen Menschen Heilung von ihren Gebrechen, wenn sie entlang der Drachenpfade wandeln oder auf ihnen tanzen oder was auch immer bei diesen scheinheiligen Mystikern gerade Mode ist. Natürlich ist das alles Unsinn. Drachenpfade existieren nicht. Nur Menschen wie Dandelion, die mit Delfinen sprechen und in Astrologie dilettieren, glauben daran. Ordentliche Zauberer wie ich wissen genau, dass es so etwas nicht gibt.
»Sie sind real«, erklärt Dandelion. Sie scheint überrascht zu sein, dass ich überhaupt Zweifel daran habe.
»Was glaubst du wohl, warum die Delfine diese Grotte lieben?«
»Vielleicht ist sie so gemütlich, wie eine Grotte nur sein kann.«
»Sie liegt auf einem Drachenpfad«, beharrt Dandelion. »Sie beziehen daraus ihre Energie. Zum Heilen und für die spirituelle Unterweisung.«
Ich trommle mit meinen Fingern auf die Schreibtischplatte. Das Thema spirituelle Unterweisung von Delfinen markiert exakt den Punkt, bis zu dem ich mich auf Dandelions merkwürdiges, verdrehtes Reich einlasse.
»Das ist wirklich sehr interessant, Dandelion, aber… «
» Ich habe das Gefühl, dass es wichtig ist, weil der Ozeanische Orkan ja immer noch nicht gefunden wurde.«
Ich unterbreche mich. Dandelion lebt so sehr in ihrer eigenen Welt, dass es mich wundert, dass sie überhaupt von diesem magischen Artefakt gehört hat.
»Wovon redest du?«
»Verstehst du das denn nicht?«, fragt mich Dandelion. »Wenn die Orks den Ozeanischen Orkan finden, werden sie ihn auf dem Drachenpfad benutzen. Er verstärkt die Macht des Artefakts.«
»Was?«
»Sie werden mit seiner Hilfe einen gewaltigen Sturm direkt von der Delfingrotte über die Stadtmauern und die Rächende Axt bis zum Palast schicken.«
Eine Aussicht, die Dandelion sichtlich beunruhigt.
»Ich mache mir große Sorgen um die Delfine«, meint sie.
Mein Kiefer klappt herunter. Ich schließe ihn vernehmlich.
»Du siehst, es ist wirklich ein ernsthaftes Problem.« Makri verzieht keine Miene.
Ich hämmere mit meiner Faust auf den Tisch. Das ehrwürdige Ebenholz erzittert unter dem Hieb.
»So einen Unsinn
Weitere Kostenlose Bücher