Sturm und Drang
jederzeit zu den Waffen greifen konnte. Und alle kämpften wie ordentliche Soldaten. Das hat sich schon lange geändert. Damals gab es noch nicht so große soziale Unterschiede in der Stadt. Jetzt leben im Palast unglaublich reiche Menschen, und in den Slums herrscht unbeschreibliche Armut. Der Senat, das Bindeglied zwischen König und Volk, ist machtlos und bis ins Mark korrumpiert. Geld, Verbrechen, Korruption und Drogen haben jeden Kampfgeist zum Erliegen gebracht.
»Wann findet das Kartenspiel statt?«
»Heute Abend.«
»Also machst du dich nur deshalb mitten in der Nacht auf und ermittelst, weil du einen letzten verzweifelten Versuch unternimmst, das Geld zusammenzukratzen? Du willst die Stadt gar nicht retten?«
»Du bist so spitz wie ein Elfenohr, Makri.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Eigentlich erleichtert mich das nur. Die Vorstellung, dass du plötzlich heldenhafte Züge an den Tag legst, war ziemlich beunruhigend. «
Wir gehen zum Hafen. Am Ende der Stadtmauer erhebt sich ein Wachtturm, auf dem sich ein Posten und ein Leuchtfeuer befinden. Von den Mauern hängen schwere Ketten herunter und blockieren den Eingang zum Hafen. Ich kann die Magie wahrnehmen, mit der die Ketten durchtränkt sind und die sie gegen jeden Angriff schützt. Seit Zitzerius mehr Schutz in den Südteil der Stadt entsandt hat, stinkt es hier förmlich nach Zauberei.
»Hier kommen nie Wale her«, erklärt Makri.
»Weiß ich.«
»Gelegentlich werden höchstens einige tote Wale angespült. Kannst du dich daran erinnern, wann so etwas das letzte Mal vorgekommen ist?«
»Ich kann mich daran erinnern, dass ich in meiner Jugend einmal den Kadaver eines Wals gesehen habe, aber das war lange vor der Schlacht um die Insel des Toten Drachen. Jedenfalls wurde er meines Wissens nicht begraben, sondern ist einfach am Strand verrottet. «
»Vielleicht hat Tanroses Großvater das Gold ja am Strand verscharrt?«, sinniert Makri.
»Ihre Mutter sagte, am Hafen. Der Strand ist ziemlich weit vom Hafen entfernt. «
»Und wenn er das verwechselt hat?«
»Warum sollte er das Gold unter dem stinkenden, verfaulenden Kadaver eines Wals vergraben? Das ist nicht gerade der angenehmste Platz.«
Wir starren aufs Meer hinaus.
»Und wenn wir die Delfine um Rat fragen?«, schlägt Makri vor.
»Hast du Fieber?«
»Nein!« Makri fährt hoch. »Warum fragst du das?«
»Weil du normalerweise keine verrückten Vorschläge machst. Das heißt, du machst wohl welche. Aber es kommen normalerweise keine Delfine darin vor.«
»Die Delfine wissen vielleicht etwas über einen Vorfall mit einem Wal hier in der Gegend.«
»Jetzt hörst du dich an wie Dandelion.«
Makri lächelt. »Gut möglich. Aber ich will das Geld. Ich will auf die Universität gehen. Außerdem haben die Delfine dir einmal einen Heilkiesel gegeben, der mein Leben gerettet hat.«
Das haben sie tatsächlich getan. Und darüber hinaus haben sie mir eine recht ansehnliche Belohnung geschenkt. Etliche sehr wertvolle Münzen, die ich gegen eine fette Börse mit Gurans eintauschen konnte. Es war ein gutes Geschäft, obwohl ich niemals darüber geredet habe. Ich wollte nicht, dass die abgebrühten Bewohner von ZwölfSeen erfuhren, dass ich mich von den Delfinen habe bezahlen lassen. Ich glaube immer noch nicht so recht, dass sie sprechen können, obwohl Dandelion behauptet, sie könne mit ihnen kommunizieren.
Makri reicht mir eine Thazisrolle und hält ihre Hände sorgfältig um ein Streichholz, als sie ihre eigene entzündet, damit der Wind es nicht ausbläst. Streichhölzer sind sehr kostspielig, und man verschwendet sie nicht gern. Wäre ich ein echter Zauberer, könnte ich eine Thazisrolle auch ohne Streichholz anzünden. Aber ich bin keiner, deshalb kann ich das nicht. Ich ziehe auch eine Rolle heraus und setze sie an Makris in Brand.
»Du hättest mich ruhig von dem Thazis probieren lassen können, das Lisutaris dir geschenkt hat«, meint Makri anklagend.
»Hat sie dir denn nichts davon gegeben? Schließlich bist du ihre Leibwächterin.«
»Nein. Warum sollte sie das tun? Sie will nicht, dass ihre Leibwächterin berauscht herumtaumelt. Und du hättest mir auch einen Schluck von diesem besonderen Bier geben können. Warum bist du nur so knauserig?«
Das kann ich ihr auch nicht so recht erklären.
»Vermutlich aus Gewohnheit. Du weißt ja, wie Zwölf-Seen so ist. Da wimmelt es von Schmarotzern.«
Mittlerweile haben wir ein kleines Tor in den Wällen erreicht. Es führt zu den Felsen vor
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