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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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auf dem Tisch. »Ich werde ungefähr zwanzig Reiter benötigen, Jäger, Kundschafter, keine regulären Soldaten«, sagte er. »An wen sollte ich mich am besten wenden?«
    Oso dachte einen Moment nach. »An den Jagdmarschall, Herr. Ich werde ihn zu Euch schicken, wenn es …«
    Er brach ab, als die Tür plötzlich aufgezogen wurde. Zwei Soldaten der Ewigen Garde traten ein und blieben an der Wand stehen. Zwei weitere durchquerten den Raum und positionierten sich hinter Craymorus und Oso. Fürstin Syrah folgte ihnen und trat in einer Zurschaustellung von Bescheidenheit mit gesenktem Kopf zur Seite, gab den Weg für den König frei, der in seinen bodenlangen weißen Roben in den Raum zu schweben schien. Er war ein weich wirkender Mann mit rundem, blassem Gesicht und kleinen Augen. Seine Haare waren lang, dunkel und von weiß gefärbten Strähnen durchzogen. Er stammte aus Busharan, wo die Farbe Weiß Göttern und Königen vorbehalten war. Sein Name lautete Cascyr, aber jeder nannte ihn König ohne Land.
    »Majestät.« Craymorus senkte den Kopf. Er war sich seines Aussehens unangenehm bewusst. Seine Haare waren nass, das Hemd hing über seine speckige Hose. Hinter ihm fiel Oso auf die Knie und presste die Stirn gegen den Boden.
    Cascyr winkte ab. Er strahlte etwas Lässiges, fast schon Dekadentes aus. »Setzt Euch, Gelehrter«, sagte er. »Es liegt nicht in Unserer Absicht, Euch unnötigen Schmerz zuzufügen.« Er sprach den Hohen Dialekt Westfalls. Craymorus fragte sich, ob er ihn nur benutzte, weil er ihm erlaubte, von sich selbst im Plural zu sprechen.
    »Danke, Majestät«, sagte er und setzte sich auf den Sessel neben dem Kartentisch. Cascyr bedeutete Syrah mit einer Geste, sich ebenfalls zu setzen, aber sie schüttelte den Kopf.
    Sie mag ihn nicht, dachte Craymorus, und noch weniger mag sie es, hier zu sein. Er räusperte sich. »Mein Diener wird Euch sofort Erfrischungen bringen, Majestät, Fürstin Syrah.«
    Oso stand auf. »Ja, Herr«, sagte er, aber Cascyr hob die Hand. »Das wird nicht nötig sein. Verlass das Zimmer und komm nicht wieder.«
    »Ja, Herr.«
    Cascyr wartete, bis Oso die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann sagte er: »Die Fürstgemahlin und ich hatten bereits eine längere Unterredung über die Zukunft der Provinzen, und wir haben den Punkt erreicht, wo es sinnvoll ist, Euch in diese Planungen mit einzubeziehen.«
    »Ich verstehe, Majestät«, sagte Craymorus, obwohl er nichts verstand.
    »Ihr wisst, wie man mich nennt, oder? König ohne Land.« Cascyr nahm eine Dattel aus der Schüssel und begann sie zwischen den Fingern zu drehen. »Aber das wird sich ändern. Eine Welle der Erkenntnis rollt über die Provinzen, Gelehrter. Der Überfall auf Somerstorm hat all den Möchtegernherrschern und Provinztyrannen mit Fürstentitel …«
    Craymorus bemerkte, wie Syrah blinzelte.
    »… gezeigt, dass sie allein angreifbar sind. Wenn es das reiche Somerstorm treffen kann, dann kann es jeden treffen.« Er machte eine Pause. Seine Worte klangen auswendig gelernt. »Sie müssen sich zusammenschließen, das wissen sie alle. Aber mit wem und unter wessen Herrschaft? Die Hälfte von ihnen war auf dem Fest in Somerstorm. Ihre Nachfolge ist zumeist noch ungeklärt. Es gibt Putschversuche, Intrigen, niemand traut mehr dem anderen. Das ist Euch doch auch klar.«
    Craymorus öffnete den Mund, wollte erklären, dass er sich nie mit fürstlichen Angelegenheiten befasst hatte, aber Cascyr wischte seinen unausgesprochenen Einwand mit einer Geste weg. »Natürlich ist es das. Jeder, der nicht absichtlich die Augen vor der Wahrheit verschließt, wird erkennen, dass nur ein wahrer Herrscher die Provinzen einen und die Bedrohung der Nachtschatten abwehren kann.« Er sah Syrah an. »Und dieser wahre Herrscher ist leider nicht Euer Gatte, Fürstgemahlin. Selbst wenn er Somerstorm einnimmt, werden sich die anderen Provinzen ihm nicht anschließen.«
    Das Lächeln der Fürstin wirkte gequält. »Verzeiht mir, Majestät, aber diese Dinge betreffen unseren gelehrten Gast nicht.
    Ich befürchte, der Schlaf wird ihn übermannen, so wie manche von ihren Träumen übermannt werden und die Wirklichkeit vergessen.«
    Craymorus schwieg und richtete den Blick auf seine Karten. Er spürte die Spannung zwischen Cascyr und Syrah, wusste, dass er nicht mehr als ein Zuschauer bei einem Spiel war, dessen Regeln er nicht kannte.
    Der König legte die Dattel zurück und wischte sich die Finger an seiner Robe ab. »Träume und Wirklichkeit

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