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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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den Rest des Landes hinab. Ein Teppich aus Häusern und Werkstätten erstreckte sich vor ihm, durchzogen von den breiten Adern, die in Kürze schon von schmutzigen, gefährlichen Fluten erfüllt sein konnten. Es regnete stark und Natai vermochte durch die wirbelnden Tropfen wenig von Byora zu sehen.
    »Euer Gnaden, bitte erlaubt mir, Euch einen Stuhl zu holen«, drängte die Dame Kinna. »Ihr seid verletzt und steht unter Schock. Man muss sich um Eure Wunden kümmern.«

    Natai verwarf die Proteste der Frau mit einem Winken. Das Stechen ihrer zahlreichen kleinen Verletzungen hüllte sie besser ein, als es jeder Verband könnte. Der Schmerz entfernte sie von den Schrecken dieses Tages. Ihre zerrissene und feuchte Kleidung war bedeutungslos, denn es würde nichts ändern, eine andere anzulegen.
    Der Ausblick hatte sie einst erfreut, und als kleines Mädchen hatte sie Stunden damit zugebracht, aus dem Fenster auf die Stadt hinabzuschauen. Jetzt spiegelte er nur das dumpfe Gefühl der Leere in ihrem Bauch wider. Was sie sah wirkte entfernt und verschwommen, unwirklich.
    Wieder wanderten ihre Gedanken zu Ruhen und seiner beruhigenden Ausstrahlung, aber dann erinnerte sie sich an Kinna, die Natais kleinen Prinzen immerzu verwöhnte und versuchte, ihr seine Zuneigung zu stehlen. Bei jeder formellen Ratsversammlung in der Kammer der Herzogin fand diese Frau irgendeinen Vorwand, um Ruhen zu halten und ein unglaubliches Aufhebens zu machen. Sie wuschelte ihm durch das dunkelbraune Haar und freute sich über jeden seiner Laute.
    »Ich kann das alles noch immer nicht fassen«, sagte die Dame Kinna plötzlich. »Dass die Kleriker so etwas auch nur versuchen würden. Das ist so unglaublich.«
    Natai ließ die Frau weiterplappern, das war besser als die einsame Stille. Sie presste ihre Hände so stark zusammen, dass ihre Knöchel weiß hervortraten und sah auf das offene Tor hinab, wo sie Oberst Feilin allein und unsicher herumstehen sah.
    »Sie können doch nicht glauben, dass die Stadt so etwas hinnimmt? Der Herzog war ein beliebter und bescheidener Mann«, fuhr sie fort. »Der Hochmut der Kleriker ist völlig aus dem Ruder gelaufen.«
    »Sie denken nicht nach«, sagte Natai matt. »Sie haben den Verstand verloren. Die Tempel sind nun ein Ort des Wahnsinns.
Wir müssen sie schließen, bis endlich wieder Vernunft einkehrt. Wir werden eine Quarantäne ausrufen, damit die Leute von diesem Bösen nicht angesteckt werden.«
    »Eine Quarantäne?«, fragte Kinna. »Aber ja, natürlich. Ich sorge dafür. Diese Seuche muss ausgerottet werden. Die Leute werden froh sein, denn sie sind wegen der Predigten voller Wut und Hass schon ganz beunruhigt.«
    »Sie sollten sich lieber Ruhen zuwenden, als Antworten in den Tempeln zu suchen«, sagte Natai mit aufwallendem Gemüt. »In seinen Augen findet man Frieden, in den Tempeln gibt es nur Irrsinn.« Sie verstummte, als sie mit einem Mal eine Bewegung auf der Straße unter sich sah.
    »Da kommen sie.«
    Eine Reihe dunkler Gestalten, Männer, die Schultern gegen den Regen hochgezogen, liefen in erstaunlicher Geschwindigkeit auf das Haupttor zu. Einige lösten sich aus der Gruppe und gingen in andere Richtungen, um auf den Gassen und Wegen, die auf die Hauptstraße führten, ordentliche Reihen zu bilden.
    Die Dame Kinna schnappte leise nach Luft, dann straffte sie sich. Sie würde stark bleiben. Die Herzogin sah auf das Tor. Ja, die Pönitenten hatten es erreicht und schlugen Oberst Feilin nieder. Sie liefen einfach weiter, über ihn hinweg. Sie konnte nicht erkennen, ob er noch lebte. Ihr blieb nur zu hoffen, dass es die Menschenmenge, die nun in den Hof strömte, so eilig hatte, dass sie ihn am Leben ließen. Ihre Diener, die eine Uniform der Rubinturmwache trugen, hatten sich verängstigt an der Seite zusammengekauert. Die Pönitenten hielten sofort auf die vermeintlichen Soldaten zu, schlugen viele nieder und entrissen ihnen brutal die Waffen. Sie konnte sich die wütenden Rufe und Befehle vorstellen. Man würde sie auf die Knie zwingen und einen oder zwei zur Warnung für die anderen töten …
    Natai hielt den Atem an und wartete darauf, dass Sergeant
Kayel auftauchte. Die Söldner strömten weiterhin in den Hof, hundert, zweihundert Mann, die nur darauf versessen waren, von den verregneten Straßen wegzukommen, weil sie Ushulls grausame Tochter fürchteten, Kiyer, Göttin der Sturzflut. Schließlich folgten Grüppchen von Priestern in Roben. Obwohl sie sich bemühte, konnte sie vom hohen

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