Sturmauge
hatte sich kein Stück bewegt, während der Mann mit ihm sprach. Finger umfassten eine seiner Locken, und er beschloss, sich nicht zu bewegen. Er hatte zu viel getrunken, um schnell genug an seinen eigenen Dolch zu kommen. Und der Fremde schien es nicht besonders eilig damit zu haben, ihn umzubringen. Die Dolchspitze verschwand für einen Moment aus seinem Nacken – vermutlich, damit der Fremde sein Haar abschneiden konnte – und fand dann den Weg zurück. Grisat blieb die ganze Zeit über reglos stehen.
»Wenigstens bist du schlau genug, keine Dummheit zu versuchen«, sagte die Stimme im Plauderton. »Wer will sein Leben schon kopfüber in einer Latrine aushauchen?«
Grisat grunzte. Der Dolch hatte ihn bereits geritzt, und so widerstand er dem Drang zu nicken.
»Wenn deine Augen geschlossen sind, dann mach sie jetzt auf, aber dreh dich nicht um.«
Grisat blinzelte. Zuerst sah er nur Dunkelheit, doch dann begann ein grünes Glühen, das genug Licht spendete, damit er den Abfluss sehen konnte, der in der Mitte des Raumes verlief und die beiden dünnen Säulen, die das Ding hielten, das sich ein Dach nannte. Er blickte hinab – sein Schwanz war auf halbe Daumengröße zusammengeschrumpft. Trotz der kalten Nachtluft
wurde ihm heiß vor Scham, während er auf die nächsten Anweisungen wartete.
»Siehst du das Licht? Das sollte dir verraten, dass ich ein Magier bin, woraus du wiederum schließen kannst, dass ich deine Locke nicht als Andenken behalte.«
Grisat versteifte sich, während der Dolch ein wenig tiefer in seine Haut schnitt.
»Ich sehe, du verstehst, gut. Also, ich weiß, wer du bist und wer dein Auftraggeber ist. Ich möchte, dass du in den Tempel zurückkehrst und den guten Pönitenten spielst.«
»Man hat dich auf uns angesetzt?«, krächzte Grisat ungläubig.
»Nicht ganz, aber ich will dennoch, dass ihr zurückkehrt. Die Kleriker wurden geschlagen, doch in den Kulten steckt trotzdem noch Leben, und du wirst derjenige sein, der den Aufruhr in der Stadt organisieren wird – unter meiner Weisung natürlich. Ich möchte, dass es in Byora einen geheimen Krieg gibt, einen Untergrundwiderstand gegen die unausweichlichen Maßnahmen, die Natai Escral gegen die Kulte ergreifen wird.«
»Vater Hiren hat das Sagen, und er hasst mich«, sagte Grisat. »Ich weiß nicht, ob er uns überhaupt zurücknimmt.«
»Wenn nicht, dann geht zum Tempel des Karkarn. Ihr werdet überzeugend sein müssen, aber wenigstens sind die Krieger-Priester zu mehr gut, als bloß für politische Rückendeckung.«
»Warum ich?«
Er hörte ein leises Lachen. »Ein Affe ist so gut wie der andere. Ich habe den ausgewählt, der im höchsten Bogen pisst.« Der Dolch drang etwas tiefer ein, und Grisat keuchte auf. »Ich überwache deine Fortschritte. Du hast eine Woche Zeit, oder ich zeige dir, wie fähig ich als Magier bin. Du wirst merken, dass man mit ein bisschen Haar viel erreichen kann.«
Plötzlich verschwand der Druck in seinem Nacken – und das schwache, grüne Licht verlosch. Grisat lauschte auf das drängende
Pochen in seiner Brust und zählte bis zehn, bevor er sich umdrehte. Er war nicht gerade überrascht, dass die Latrine leer stand und der Hof davor so still wie ein Grab dalag.
»Scheiße«, murmelte er, trat einen Schritt von den Schatten zurück und in den Abfluss hinein.
»Du öffnest zur Abenddämmerung? Übst du für etwas?«
Die Frau mit den breiten Hüften keuchte erschrocken auf und drehte sich herum, wobei die grüne Seide ihres Kleides raschelte. Kajal betonte ihre blassblauen Augen, und das blonde Haar türmte sich auf dem Kopf. Sie stand in der Mitte des Raumes, der zu spärlich beleuchtet war, als dass einem der miserable Zustand der Diwane aufgefallen wäre. Zwei jugendliche Huren standen neben ihr.
Eines der Mädchen schrie vor Schreck kurz auf, als die Schatten zwei weitere Gestalten im Raum preisgaben. Auf einen Blick Harys flohen die Huren hinter den schweren Vorhang, der als Tür diente, und Zhia erhaschte noch einen Blick auf den Flur, der deutlich weniger prunkvoll und bunt war als dieser Raum. Sie verstand, warum es hier, wo die Gäste des Hauses sich mit einem Getränk in der Hand niederlegten, um den Sängern zu lauschen, die Harys beschäftigte, so düster war. Solange sie ihre Kleidung noch anhatten, blieb ihnen Zeit, ihre Umgebung zu betrachten.
»Edle Dame, ich bitte um Entschuldigung, Ihr habt mich erschreckt. Ich wusste nicht einmal, dass Ihr in der Stadt seid«, stammelte
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