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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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beim Handgelenk, als er folgen wollte. Doch der abgerissene Wanderer unterband jede Höflichkeit. »Das kann warten. Jetzt musst du dich ihr vorstellen. Wir können reden, wenn sie schläft.« Die Reise schien Morghien arg zugesetzt zu haben, denn er wirkte müde und ausgemergelt, aber sein Griff war unverändert kräftig. Isak musste sich daran erinnern, dass Morghien, den man den Mann der vielen Geister nannte, viel älter war, als er erschien – man konnte ihm darum die Zeichen der Erschöpfung nachsehen.
    Isak klopfte ihm auf die Schulter und ging ins Schlafzimmer.
Die Soldaten hatten die Trage auf dem Bett abgelegt und wollten sie eben unter ihr hervorziehen, da schob Isak sie beiseite.
    »Schon gut«, sagte er. »Das schaffen wir schon. Die Küche sollte Essen für meine Gäste bereiten. Seht nach, ob es fertig ist, dann geht wieder auf euren Posten.«
    Er achtete nicht einmal darauf, ob sie den Raum verlassen hatten, sondern beugte sich sofort über das Bett und schob Xeliaths Kapuze vorsichtig zurück. Die junge Frau schaute blinzelnd zu ihm auf, und Isak konnte sein Erschrecken kaum verbergen. Das gesunde, wunderschöne Mädchen aus seinen Träumen war verschwunden. Stattdessen sah er beinahe ein Zerrbild dieser strahlenden Schönheit vor sich.
    Schweiß lief über ihre zuckende Wange und die runzelige Haut der Augenbraue und des Lids, das schlaff über ihrem linken Auge hing. Zusätzlich zu dem bleibenden Schaden an ihrem Körper sah er rote Flecken auf ihren hellbraunen Wangen, die auf Fieber hindeuteten.
    »Isak«, flüsterte Xeliath. Der eine Mundwinkel hob sich, der andere zitterte, als sie zu lächeln versuchte. Sein Name rollte mit einem schweren Yeetatchen-Dialekt über ihre Lippen.
    »Xeliath«, antwortete er sanft und lächelte auf ihr bleiches Gesicht hinab. Dann kniete er sich vorsichtig auf das Bett und schob eine Hand unter ihren Körper, damit er die Trage hervorziehen konnte. Ihre dünnen Glieder erinnerten ihn an eine Taube, die er einst geschossen hatte. Als er den toten Vogel in der Hand gehalten hatte, war er ihm zu leicht erschienen, als würde etwas fehlen, seit das Leben aus ihm gewichen war.
    Xeliath wirkte sogar noch winzig, als sie in ihren schweren Wollumhang gewickelt war. Er hob ihre Hand und hauchte einen Kuss auf ihre Handfläche. Dann schloss er ihre Finger darum und sagte: »Schlafe jetzt, du musst dich ausruhen. Ich bringe dir später etwas Suppe.«

    »Warte, hör mir zu«, flüsterte Xeliath. Und es fiel ihr schwer, die unvertrauten Worte zu formulieren. Isak erinnerte sich an ihr erstes Treffen in seinen Träumen, auf einem weiten, konturlosen Feld. Damals hatte sie ihm gesagt, sie könne nicht einmal seine Sprache sprechen. In dieser Nacht, und bei jeder anderen Begegnung, hatte sie direkt in seinem Geist gesprochen. Mihn musste ihr auf der Reise Farlan beigebracht haben, erkannte er, während er sich bemühte, die aus ihrer angegriffenen Kehle klingenden Silben zu verstehen.
    Sie befreite den rechten Arm aus der Decke – und Mihn hatte sich bereits in Bewegung gesetzt, als sie ihn herbeiwinkte. Isak rückte beiseite, um Mihn zu erlauben, ihre Hand zu umfassen. Er spürte ein plötzliches Aufflackern von Macht, das von ihrer Linken ausging, die unter dem Umhang verborgen war. Er schlug das Tuch zurück und schnappte nach Luft, als er den Kristallschädel sah, der mit ihrer Handfläche verschmolzen war. Ihre langen, dünnen Finger umklammerten ihn, waren etwas in das Material des Schädels hineingezogen worden. Isak strich mit dem Finger über die Seite ihres Daumens. Die Haut war so vollständig mit dem Schädel verbunden, dass es keine spürbare Nahtstelle gab: Das eine Material ging unmittelbar in das andere über.
    »Nimm ihn dir, schneide ihn aus ihr heraus «, zischte eine Stimme in seinem Kopf.
    Isak unterdrückte ein Knurren und verbannte den Geist von Aryn Bwr aus seinen Gedanken. Zumindest das war in den letzten Monaten besser geworden. Die Stimme war leiser geworden und klang meist eingeschüchtert, und Aryn Bwr hatte sich bereitwilliger vertreiben lassen. Es war jedoch nicht nur ein Segen, denn dadurch wurde Isaks Verdacht genährt, dass die Schnitter am Rande der Wirklichkeit lauerten.
    Erneut flammte die Macht des Schädels auf. Isak zog die Hand zurück und warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, bemerkte
dann jedoch, dass es nicht Wut war, was er spürte. Xeliaths Blick ging ins Leere, das gesunde Auge durch ihn hindurch, während zuckende magische

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