Sturmauge
Funken zwischen ihren Fingern über den Kristallschädel tanzten. Er spürte die Energie, die ihren Arm hinauffloss.
»Was … was geschieht da?«, fragte er leise.
»Sie driftet davon«, sagte Mihn rasch. »Das ist schon ein paarmal vorgekommen, meist nachdem sie im Traum mit Euch gesprochen hat. Kein Grund zur Sorge, das ist nur die Auswirkung ihrer Verbindung mit Eurem Schicksal.«
»Ich erinnere mich«, sagte Isak. »Als sie erwählt wurde, ist ihr Geist beinahe zerbrochen, weil sie an tausende Schicksale zugleich und doch auch an keines gebunden wurde … oder etwas in der Art.«
Mihn streichelte ihre Hand. »Sie versteht es selbst nicht ganz, aber es rief eine hellseherische Gabe bei ihr hervor, vielleicht wie bei den Sehern von Ghorendt – keine wirkliche Vorausahnung, eher kurze Einblicke in die Zukunft, die jedoch nicht viel Sinn ergeben. Es ist nicht so, dass sie in eine Trance fiele. Manchmal erinnert sie sich nicht einmal daran, dass es geschah.«
»Hat sie etwas gesagt, aus dem du schlau wurdest?«
Der kleine Mann zuckte die Achseln. »Einmal sagte sie, sie sehe Euch um eine Statue herumgehen, die einen Mann darstelle, der ein Schwert aus Obsidian an seine Brust presst. Ein Mann mit zwei Schatten, der eine mit Blut vermischt, der andere mit weißen Augen, beobachtete Euch dabei. Ihre Beschreibung erinnerte mich an den Waldläufer Tiniq.«
»General Lahks Bruder?«, fragte Isak überrascht. »Nun, ich vermute, dass er wirklich im Schatten seines Weißaugenzwillings lebt.«
»Isak«, krächzte Xeliath da.
Die beiden Männer blickten auf sie hinab. Mihn hielt noch immer die Hand der jungen Frau.
»Danke«, brachte sie unter Mühen hervor.
»Wofür?«, fragte Isak.
»Dafür, dass du mich in Sicherheit gebracht hast, du Dummkopf«, presste sie hervor und zwang ihre Lippen zur Anmutung eines Lächelns. Sie zog ihre Hand aus derjenigen Mihns und tätschelte die Wange des kleinen Nordmannes zärtlich. »Du hast Glück, einen so treuen Freund zu haben. Ich glaube, er würde dir überallhin folgen.«
Isaks Gesicht wurde ernst. »Sag so etwas nicht – es könnte gut sein, dass er dann auch den Dunklen Ort besuchen muss.« Er sah Mihn an, dessen ruhiges Gesicht das Bild eines Mannes zeichnete, der längst seinen Frieden mit dem Land gemacht hat. Der gescheiterte Harlekin gab selten etwas preis, aber er hatte sich bestimmt schon Gedanken darüber gemacht, welchen Schrecken er an Isaks Seite begegnen würde.
Wie kann es sein, dass mir ein Mann dient, der so viel besser ist als ich selbst? , fragte sich Isak nicht zum ersten Mal.
Ein stechender Schmerz an seinem Handgelenk riss ihn aus seinen Gedanken … und er blickte darauf. Xeliath hatte ihren Fingernagel in seine Haut gedrückt und dort einen roten Fleck hinterlassen. »Dummer Junge«, grollte das Weißauge mit der dunklen Haut und spie dann ein Dutzend oder noch mehr wütende Worte in Yeetatchen aus.
Ohne darüber nachzudenken übersetzte Mihn: »Du behauptest, ich hätte ein Problem mit Prophezeiungen? Du, als Angelpunkt der Geschichte, solltest es wahrlich besser wissen, als solche Dinge so achtlos auszusprechen.«
Der Tadel in ihrer Stimme traf Isak. »Es tut mir leid«, sagte er nach kurzem Schweigen. »Ich meinte damit nur, dass ich so etwas von keinem Mann verlangen könnte, egal, wie treu er auch sei.«
»Zu spät«, antwortete Xeliath und schloss die Augen. »Es ist nun einmal ausgesprochen worden.«
Isak blickte zu Mihn, aber der schüttelte bloß den Kopf. »Wir alle haben unsere Rollen in diesem Stück zu spielen.«
»Und wenn ich etwas Schreckliches von dir verlangen muss?«, fragte Isak verzweifelt. »Du nimmst diese Bürde zu leichtfertig auf dich!«
»Ich bin stolz, Euch zu dienen, gleichgültig, was Ihr von mir verlangt«, antwortete Mihn mit ungewöhnlicher Offenheit. Seine Hautfarbe erinnerte zwar an einen Farlan, und das Haar und die Augen waren sogar von einem noch dunkleren Braun als bei den meisten Einwohnern Tirahs, doch fehlten Mihn die scharfen Gesichtszüge dieses Stammes. Seine waren glatt und sanft, ohne scharfe Kanten – und jeder Ausdruck schien nur angedeutet.
»Ist es dann meine Aufgabe, einfache Dinge von anderen zu fordern?«, fragte Isak leise.
Mihn blinzelte. »Darum beneide ich Euch nicht. Ich bin froh, nur dienen zu müssen.«
»Mihn, du trägst nicht einmal eine ordentliche Waffe! Nie legst du Panzerung an, obwohl ich dich doch schon bat …«
Mihn hob eine Hand, um seinen Lord mitten im
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