Sturmauge
Götter, die in Scree am beliebtesten gewesen waren, namentlich Tod, Nartis, Belarannar, Karkarn, Vellern und Vasle. Dies waren die Götter, die von den Taten der Jünger Azaers am heftigsten betroffen waren. Ihre Wut hallte durch das Land und rief bei denen, die sich an ihren Geist gebunden hatten – den Priestern, die diesen Bund mit der Weihe eingingen – ein Echo hervor.
Wie vorherzusehen war, hatte Lesarl Azaers Genialität Rechnung getragen, statt entsetzt über die Geschehnisse zu sein. Die Angelegenheit hatte die Götter zu einer Reaktion genötigt, ob versehentlich oder absichtlich, das sei einmal dahingestellt, und diese würde nun das einfache Volk gegen sie aufbringen. Ohne die Verehrung der Leute würden die Götter aber nur noch weiter geschwächt werden. »Genial!«, hatte Lesarl vor sich hingemurmelt und Isak hatte dabei das Gesicht verzogen.
»Dass Jopel Bern dem Obersten Kardinal ins Ohr flüstert, macht es nicht einfacher«, unterbrach Tila, bevor er seinen Haushofmeister tadeln konnte.
Isak nickte knapp. Bern, der Hohepriester Tods, war ebenso stark betroffen wie der zerbrechliche alte Mann in den Roben des Obersten Kardinals. Leider, zumindest was Isak anging, machte der alte Kleriker keine Anstalten zu sterben, zumindest nicht auf natürlichem Wege. Echer brannte sich offensichtlich mit seiner Magieanwendung aus. Er würde vermutlich in einigen Wochen tot sein, aber Bern war vorsichtiger.
»Fürs Erste werden wir ihn wohl ertragen müssen.« Isak atmete tief durch und gab den Wachen am Ende des Ganges ein Zeichen. »Es wird Zeit. Ich will sie nicht länger warten lassen.«
Die Soldaten öffneten die Tür, als sie herankamen. Isak betrat die Große Halle, dicht gefolgt von Lesarl, und wurde von einem Hauch warmer, verrauchter Luft und dem Summen von Stimmen begrüßt, das abflaute, als er hereinkam. Der Saal war völlig verändert. An den Wänden hingen nun Banner in allen Farben, die Wappen jedes Farlan-Lordprotektors, die alle von einer einzigen Flagge in der Mitte in den Schatten gestellt wurden, die noch dreimal größer war: Isaks gekrönter Drache. Sie hing hinter dem großen Herzogsthron, der in der Mitte des Raumes stand, dem riesigen Feuer auf der anderen Seite zugewandt.
Der Thron war ein gewaltiger Stuhl, der aus einem einzigen riesigen Baumstamm herausgeschnitzt worden war. Das dunkle Holz war aufs Äußerste poliert und die Seiten waren dick genug, um eine Axt aufzuhalten. Die hohe Lehne überragte noch einen stehenden Mann. Es waren zwar Symbole der Götter und der Farlan in Silber, Gold und Feuerstein in den Thron eingelegt, aber der vermittelte Gesamteindruck schien trotzdem eher einer von Stärke als von Pracht zu sein.
Isak musterte die Menge einen Augenblick lang, während sich die Versammelten zu ihm umwandten. In einer Welle, die bis zum Ende des Raumes reichte, sanken die Adligen auf ein Knie und hoben ihre Schwertknäufe vor die Gesichter. Die versammelten
Priester verbeugten sich. Es war ein rechter Farbensturm, denn die Farlan liebten das Zeremoniell und die Rituale, und darum nutzten die Adligen jeden Alters die Gelegenheit, um ihre beste und feinste Kleidung zur Schau zu tragen. Zu seiner Linken hatten sich die Kleriker Farlans versammelt, wobei die Synode dem leeren Herzogsthron am nächsten saß. Ihnen gegenüber hatten die Herzöge von Merlat und Perlir die besten Plätze.
Neben dem Herzog von Perlir befand sich ein verdächtig leerer Sitz, und einige Leute sahen sich immer wieder um, als erwarteten sie, dass der verstorbene Herzog Certinse plötzlich einen dramatischen Auftritt hinlege. Graf Vesna, dem Anlass entsprechend in formellem Aufzug, stand neben dem Thron. Er hatte sich um keinen Fingerbreit bewegt. Der silberne Ringkragen mit Isaks herzoglichem Wappen, den er über seiner Rüstung trug, wies ihn als eine von Isaks Leibwachen aus, zumindest für zeremonielle Zwecke, und das enthob ihn von der Pflicht, sich zu verneigen.
»Herzog Tirah«, rief der Oberste Kardinal Echer mit dünner, erschöpfter Stimme. Er schlurfte von der Mitte des Raumes auf Isak zu und verneigte sich erneut. Isak erinnerte sich an ihr erstes Treffen, als er sich der Synode untertänigst vorgestellt hatte. Damals war Echer ein schwächlicher alter Mann gewesen, der sich einem anderen Kardinal unterordnete. Jetzt konnte Isak die Magie spüren, die durch den Körper des Mannes floss, die Zipperlein des Alters milderte und seinem faltigen Gesicht eine gespenstische
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