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Sturmbote

Sturmbote

Titel: Sturmbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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etwas so Zufälliges wie Kartenlegen. Jede Münze ist einem Gott des Höheren Kreises geweiht, vom jeweiligen Hohepriester gesegnet und von einem Wesen beseelt, das außerhalb der Zeit und der Gesetze des Landes steht. Wenn ein Magier die Kette wirft, legt sich ein Muster auf die Oberfläche, die bestimmt, wie die Münzen zur Ruhe kommen. Vertrau mir, da ist kein Zufall im Spiel.«
    Er hielt eine glatte Goldscheibe hoch und drehte sie, damit Isak die andere Seite sehen konnte, Obsidian oder poliertes Jett. »Zwei sind nicht dem Höheren Kreis zugewiesen. Diese hier, die Münze der Dame, steht für das Glück, aber auf sehr eigene Weise, und für die Sterblichen. Sie ist normalerweise die wichtigste Münze eines Wurfes, da sich alle Ereignisse letztlich um Menschen drehen.«
    Er suchte gewissenhaft eine andere Münze an der Kette heraus und hielt sie, während er sprach, Isak hin. Sie war aus Lapislazuli, dunkelblau mit einer dünnen Linie von Katzengoldeinschlüssen.
    »Dies ist, wie du sicher ahnst, Nartis’ Münze. Ich würde dir empfehlen, keine der anderen zu berühren, denn das könnte das Gleichgewicht beeinflussen.« Er grinste. »Und noch ein Rat: Vertraue nie einem Priester, der eine solche Kette benutzt. Ohne ein Gleichgewicht der Weihe sind sie nutzlos – mehr als nutzlos sogar. Denn was dann aus ihnen gelesen wird, ist schrecklich verzerrt.«

    »Wozu dient das Kreuz?«, fragte Isak und ließ die schlohweißen Finger seiner linken Hand über die glatte Oberfläche der Scheibe gleiten. In der Mitte war das Schlangensymbol eingraviert, umgeben von Zeichen in einer unbekannten Schrift. Isak vermutete, dass sie das Gebet des Waidmanns darstellten.
    Als Morghien bestätigend nickte, erkannte Isak, dass seine von Magie gezeichnete Hand vermutlich Nartis’ Münze verstärken würde.
    »Das Kreuz stellt unser in Viertel aufgeteiltes Spielfeld dar. Oben die Himmel und das Land, unten Feuer und Wasser. Ich besitze diese Omenkette nun schon seit vielen Jahren und kenne ihre Launen gut. Hast Du erst einmal diejenigen entfernt, die ihre blanke Rückseite zeigen, wird die Lage jeder Münze auf dem Spielbrett und ihre Lage zueinander die Frage beantworten, die in deinem Geist ruht, wenn du sie wirfst.«
    »Die Rückseite? Ah, dann ist nur auf einer Seite etwas eingraviert«, sagte Isak und drehte die Nartismünze um. »Und was ist mit der Münze der Dame? Die ist auf keiner Seite graviert.«
    »Diese Münze ist wahrlich etwas ganz Besonderes«, stimmte Morghien zu. Die Obsidianseite sagt aus, dass ein Pfad bereits eingeschlagen wurde, und selbst Schicksal nichts mehr daran ändern kann. Hier stellt Schicksal das Glück dar, steht für eine Möglichkeit, die es zu nutzen gilt. Wenn an dieser besonderen Kette, meiner Kette, jedoch die schwarze Seite oben liegt, so steht das – wie ich vermute – für Azaer.«
    Das Wort hing zwischen ihnen in der Luft und Isak starrte auf die kleine Spiegelung des größeren Mondes Alterr in der polierten Oberfläche der Münze. Er wusste nur wenig über Azaer – oder den Schatten, wie König Emin ihn genannt hatte – aber er war sicher, dass Azaer ihn in den letzten Monaten beobachtet hatte. Die Nacht machte Isak normalerweise keine Angst, denn er hatte das Land zeitlebens nur von den Monden begleitet
durchwandert. In der letzten Zeit aber hatte er einige Male eine unerklärliche Furcht verspürt und war davor ins Licht geflohen. Nicht einmal der König hatte ihm erklären können, was der Schatten tat oder warum. Isak wollte nicht in Azaers Pläne verstrickt werden.
    Morghien verlor keine Zeit mehr, öffnete den Haken, der die Kette verband und hielt den Münzenstapel über das Spielbrett. Der Sterbliche befand sich unten. Sie klimperten auf den Stein und gerade in diesem Augenblick kam der Mond des Jägers hinter einer Wolke hervor, um sein farbiges Licht auf die Steinplatte zu werfen.
    Morghien lehnte sich über die Münzen, die Hand bereits gehoben, um die auf dem Bild gelandeten zu entfernen, und zischte unwillkürlich auf.
    Isak sah ebenfalls hinab und sogar er konnte lesen, was das Spielbrett ihnen sagen wollte: Der Sterbliche lag gerade so eben in dem Viertel, das Morghien die Himmel genannt hatte und war beinahe vollständig von der Obsidianseite der Münze der Dame bedeckt.
    »Azaer wollte nicht, dass du Fedei erneut triffst. So habe ich also einen weiteren treuen Freund verloren«, flüsterte Morghien in die Nacht und senkte den Kopf in Trauer.

2

    Am nächsten Tag

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