Sturmbote
Treppe neben dem Kamin, die normalerweise hinter einem Bücherregal verborgen blieb. »Komm, sieh dir das mal an.«
Doranei folgte dem König die schmalen Stufen bis in Cetess’ geheime Kammer, wo der Künstler die Studien abhielt, die sich mit den Interessen des Königs deckten. Es war ein kleiner, fensterloser Raum, der vor den Augen der Stadt und Cetess’ Gönnern verborgen blieb, wenn diese ihn besuchten. Hier herrschte die größte Unordnung, Papiere und Bücher lagen wild verstreut. Eine böse Vorahnung ergriff von Doranei Besitz.
»Wo ist Cetess?«
»Eine gute Frage«, antwortete der König und machte eine Geste zu einer der Wände hin. »Bisher haben wir noch nicht herausgefunden, was genau passiert ist, aber es gibt einige Dinge, die Schlimmes ahnen lassen.« Er wies auf eine leere Tafel an der Wand, die genauso aussah wie die im Schlafzimmer des Königs. »Sieh selbst.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Doranei begriff, was da nicht stimmte. Die Tafel, ein glattes Stück roten Narkang-Marmors, das aus dem gleichen Block geschlagen worden war wie sein Gegenstück, wirkte völlig glatt – und das war das Problem. Was mit der einen geschah, passierte auch mit der anderen. Sie waren zerbrechlich
und konnten leicht Schaden nehmen, aber diese hier war noch vollkommen unbeschädigt. Nur eine dünne Schicht Kreidestaub lag auf der dunkelroten Oberfläche.
»Ich weiß nicht allzu viel über Magie, aber ist das nicht unmöglich?«
»Ich weiß ziemlich viel über Magie«, antwortete Emin, »ebenso wie Edine und Cetarn, und wir sind allesamt der Meinung, dass dies unmöglich ist. Keiner unserer gelehrten Freunde hat eine Erklärung dafür.«
»Und Ihr?« Alle Mitglieder der Bruderschaft bewunderten König Emin für seine Fähigkeit, Probleme zu lösen.
»Vielleicht ist die reine Unmöglichkeit bereits der Grund? Magie ist ein unstetes Ross und der Vorteil, kein Magier zu sein, liegt darin, dass ich nicht behaupten muss, sie zu beherrschen. Magier glauben, sie würden die Natur des Tieres kennen, aber wenn man bei Magie genau hinsieht, bemerkt man, dass sie sich dem Griff entzieht.«
»Das verstehe ich nicht, Euer Majestät.«
»Ich auch nicht«, sagte Emin lächelnd. »Aber es ist getan worden, etwas, von dem wir dachten, es sei unmöglich. Was wäre also, wenn der einzige Weg, auf dem dies erreicht werden könnte, darin liegt, dass er uns sofort unmöglich erschiene? Wenn diese geheime Tat nur dann vollbracht werden könnte, wenn sie dadurch gleichzeitig offenbar würde?«
»Ist das eine Erklärung?«
Der König lachte wegen Doraneis verwirrtem Gesichtsausdruck auf. »Ha! Nicht wirklich, es sind nur meine Gedanken zu diesem Thema. Die Nachricht auf der Tafel in meinem Zimmer wurde nicht mit herkömmlichen Mitteln geschrieben, sonst wäre sie hier noch zu lesen. Man kann eine solche Nachricht nicht wegwischen, wenn die Tafel erst zerbrochen ist. Also wurde sie mit ungewöhnlichen Mitteln geschrieben, um uns hierher zu
locken. Die launische Natur der Magie sorgt dafür, dass dies nur dann möglich ist, wenn die Aufgabe fehlschlägt.«
»Aber wir sind hier«, widersprach Doranei.
Der König hob einen Finger. »Wir sind hier, aber vorgewarnt, dass man uns hergelockt hat. Und damit sind wir auf der Hut vor einem Hinterhalt. Vielleicht sind wir sogar so lange sicher, bis wir erkennen können, dass es eine Falle gibt.« Er zuckte mit den Schultern und wischte sich eine haselnussfarbene Strähne aus dem Gesicht. »Aber ich denke nur laut nach. Ich muss erst noch einen Sinn hineinbringen.«
»Ich wünsche Euch dabei viel Glück. Habt Ihr herausgefunden, was mit Cetess geschehen ist? War … er es?« Doranei vermied es, Ilumenes Namen in König Emins Gegenwart auszusprechen. Er war der einzige Verräter in der Geschichte der Bruderschaft – und für den König wie ein Sohn gewesen.
Emin schüttelte den Kopf. »Nein, nichts Eindeutiges. Die Diener berichten von nächtlichen Stimmen, von Gelächter, das durch die Wände klingt und von Schatten in leeren Zimmern. Das alles ergibt wenig Sinn, und doch erinnert es an Azaers Taten in Narkang.« Emin kaute nachdenklich auf der Lippe. »Wir wissen nur eines mit Sicherheit: Alle Bediensteten schwören, dass Cetess das Haus wie üblich abgesperrt hat und zu Bett ging. Als sie erwachten, war die Tür noch immer abgeschlossen, aber er war verschwunden. Er hatte nicht in seinem Bett geschlafen und es gab keinerlei Anzeichen von Gewalt, keine Leiche, keine
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