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Sturmbote

Sturmbote

Titel: Sturmbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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des Mannes legte Zeugnis darüber ab, dass die Reise bei ihnen allen ihren Tribut gefordert hatte. Mikiss hatte von Anfang an beschlossen, nicht zur Bürde zu werden, gleichgültig wie schwer es würde. Und damit wollte er jetzt, kurz vor dem Ziel, nicht brechen. Shart schnaubte – ob tadelnd oder anerkennend, das konnte Mikiss nicht sagen.
    Mikiss bemerkte am Rande seiner Mühen, dass sie sich von der Stadtmitte wegbewegten, zuerst über unebene Pflastersteine, dann über glatte Wege aus festgestampftem Dreck, an denen hohe Linden mit welkenden, grünen und gelben Blättern und eine Art von Weißdorn wuchsen, die Mikiss nicht kannte. Die verdrehten Äste waren mit schmalen Blättern und scharfen Stacheln bedeckt.
    Sie brauchten wegen Mikiss’ unsicheren Schritten mehr als eine halbe Stunde, bis sie in einem stark heruntergekommenen Bereich mit Sicht auf die Stadtmauer ankamen. Einige nur notdürftig reparierte Gebäude wirkten belebt, aber es fiel Mikiss doch auf, dass hier keine Vögel zu hören waren, nicht einmal dort, wo die Bäume noch vertrocknete Früchte an den höheren Ästen trugen. Einige Leute beobachteten sie faul aus den Schatten der Türen und Fenstern und waren nur neugierig, wer denn dumm genug war, durch diese grausam brennende Sonne zu laufen.
    So weit draußen, hinter der alten südlichen Vorburg, die Scree einst beschützt hatte, standen die Häuser weit auseinander. Nai
führte sie auf ein großes, düsteres Gebäude zu, dem Anschein nach ein ehemaliges Landanwesen, das sich die Stadt irgendwann einverleibt hatte. Dann hatte man es verlassen und dem Ansturm des Wetters übereignet.
    »Hier lebt Purn?«, fragte Bernstein zweifelnd. Das Haus war einmal prächtig gewesen, aber jetzt sah es mit dem hohen, verrosteten Zaun und dem wilden Unkraut drumherum unbewohnt und auch unbewohnbar aus. Das nächststehende Haus war in noch schlimmerem Zustand und wies die unverkennbaren Rußspuren eines Feuers auf.
    Mikiss roch. Hier stank es noch stärker als in der restlichen Stadt nach Verfall. Das meiste rührte vom Haus her, vermutete er, aber etwas verbarg sich auch in diesem Gestank nach ungewaschenen Leibern und verfaulenden Pflanzen. Der scharfe Geruch verrottenden Fleisches. Das mochte ein Hinweis auf die Schrecken sein, die man im Heim eines Nekromanten fand.
    »Hier lebt mein Meister«, stimmte Nai zu. »Er arbeitet meist im Keller, darum brauchen wir nicht alle Räume. Ihr dürft mit dem ungenutzten Platz tun und lassen, was ihr wollt. Das Haus ist zwar recht stabil gebaut, aber ich schlage vor, den Dachboden zu meiden. Dort oben ist der Boden weniger verlässlich.«
    Shart spähte zum Schindeldach hinauf und bemerkte die großen Löcher dort: »Ich verstehe, was Ihr meint«, murmelte er. »Aber Eure Vorstellung von stabil teile ich eher nicht.«
    »Es dient seinem Zweck«, gab Nai zurück. »Und natürlich möchten wir nicht den Eindruck erwecken, dass es in diesem Gebäude etwas gibt, das eine nähere Beschäftigung damit lohnend erscheinen ließe.«
    »Gibt es Wachen?«
    »Aber gewiss«, sagte der Diener mit einem Lächeln, das Mikiss schon das Schlimmste ahnen ließ. »Aber die sind wenig feinsinnig und machen keinen Unterschied zwischen spielenden Kindern
und feindlichen Getreuen – dafür fehlt ihnen der nötige Geist.«
    »Und ein Herzschlag fehlt ihnen vermutlich auch«, murmelte Shart.
    »Ganz recht, der fehlt ebenfalls«, gab Nai mit befremdlicher Begeisterung zu. »Wir möchten nicht auffallen, vor allem jetzt nicht, da die Wogen in dieser Stadt immer höher schlagen.«
    »Gab es Aufstände?«, fragte Oberst Bernstein.
    »Nichts von Bedeutung, aber die Stimmung in der Stadt hat sich gewandelt. Noch gibt es keine Nahrungsmittelknappheit, dennoch wird beinahe jede Nacht gekämpft.« Nai wies zum blassblauen Himmel hinauf und sagte schwermütig: »Seit dieses Wetter herrscht, verhalten sich die Leute von Scree wie Tiere. Sie kämpfen und schreien sich auf offener Straße an. Es dauert nicht mehr lange, dann wird diese Stadt untergehen.«
    Er wandte sich mit einem schweren Seufzer, der seinen Ursprung in den Füßen zu haben und bis zum schweißnassen Haar hinaufzuwandern schien, wieder dem Haus zu. Dann schüttelte er sich unvermittelt und stieß das Tor auf, damit die Soldaten hineingehen konnten.
    »Willkommen«, sagte er zu jedem, der an ihm vorbeiging. Mikiss erschauderte, als hätte ihm ein böser Geist über das Haar im Nacken gestrichen und sei dann geflohen. Dass Nai das

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