Sturmbote
Lord der Menin, grinste benommen. Ein Blutfaden tropfte von seinen Lippen, vielleicht hatte er daraufgebissen. Er drehte sich schwungvoll um und sah, dass sich Herzog Vrill ebenfalls in eine sichere Entfernung zurückgezogen hatte. Das fand er amüsant. Dies war Vrills beste Gelegenheit, um ihn zu töten und Lord der Menin zu werden. Aber nein, dazu war Vrill zu klug. Immerhin hielt Kohrad Styrax’ Schwert in der Hand und war keineswegs so schwach, wie er wirkte.
Styrax blickte zur niedrig stehenden Sonne hinüber, die sich eben über die Klippen im Westen schob. In seiner Brust raste sein Herz und erinnerte ihn mit jedem Schlag daran, dass er noch lebte. Bei jedem Schlag wollte er laut rufen, seine Freude herauslachen. Er hielt den Blick auf den Horizont gerichtet, hinter dem die Götter in seliger Abgeschiedenheit von ihren sterblichen Untertanen lebten, und wischte sich das Blut vom Mund. Es hieß, dass sie sich dorthin zurückgezogen hätten, um sich vom Großen Krieg und den Gräueln zu erholen, die sie den Verlierern angetan hatten. Dort würden sie bleiben, fernab der Angelegenheiten der Sterblichen, und sich bescheiden, mit Schicksalsfäden zu spielen, wenn sie dadurch niemals mehr mitansehen mussten, wie einer der ihren durch die Hand eines Sterblichen starb.
Habt ihr zugesehen, ihr Mistkerle? Fürchtet ihr mich schon?
24
Breytech schob die Tür zu seinem Zimmer weit genug auf, um auf die Straße davor blicken zu können. Sie schien ruhig, aber er musste trotzdem aufpassen. Er hatte sich seit Tagen in diesem vollgestopften Raum verbarrikadiert und aufgrund der Schreie und Rufe vor der Tür wusste er, dass die Stadt mehr und mehr dem Chaos verfiel. Der Chetse-Händler hatte im letzten Monat miterlebt, wie sich die Stadt völlig verändert hatte, weil sich ihre Bewohner in Wilde verwandelten. Breytech hatte die Stadt schon oft besucht, aber so etwas hatte er noch nicht erlebt. Passanten hatten sich ohne Provokation oder Bedrohung gegen ihn gewendet oder ihre Mitbürger angegriffen, und das so schnell und unvorhersehbar wie eine Wächterechse, die ihr Nest verteidigt. Ruhig im einen Augenblick und wild im nächsten. Aber bei einer Wächterechse hatte man wenigstens eine Chance zu entkommen. In Scree verhielten sich die Leute nicht einmal mehr wie Tiere, denn sie begnügten sich keineswegs damit, den Gegner zu vertreiben.
Er unterdrückte das Verlangen, die Tür zu schließen und den Tisch wieder davorzuschieben. Seine Augen hatten sich an das Zwielicht hinter verschlossenen Fensterläden gewöhnt, und so blinzelte er jetzt in das schmerzhaft helle Licht. Es war die heißeste Stunde des Tages. Die Sonne brannte so gnadenlos, dass die Alten und Kranken es nicht überleben würden. Er war ein
Chetse und kannte die Gefahren von Tsatachs feurigem Blick nur zu gut, aber er musste darauf setzen, dass sich nicht einmal die Verrückten mittags hinauswagen würden.
Er würde viel lieber in seinem Versteck bleiben, aber wenn er sich jetzt nicht aufmachte, um seinen Wasserschlauch aufzufüllen, konnte er schon bald zu schwach dafür sein. Er blickte in den vollgestopften und stickigen Raum zurück, der seit einer Woche sein Gefängnis war, seit die Lage wirklich schlimm geworden war, und musste voller Abscheu erkennen, dass er diesen Ort mit einer Inbrunst hasste, die er sich nicht erklären konnte. Als er das Zimmer gemietet hatte, waren die Tage nur warm gewesen, und er hatte keinen Grund gehabt zu vermuten, dass er außer den Nachtstunden Zeit dort verbringen würde. Aber es war anders, schlimmer gekommen und die zwei mal zwei Schritt messende Stube mit den schmutzverklebten Bodendielen hatte angefangen wie ein heruntergekommenes Zuchthaus zu stinken.
In dem Raum befanden sich ein Tisch, ein Bett und der Nachttopf, für den er es jeden Tag hatte wagen müssen, die Tür zu öffnen und entdeckt zu werden. Ansonsten waren hier nur Breytechs verbliebene Waren an einer Wand gestapelt. Er hatte die Leinensäcke mit den Stoffballen aus dem Lagerhaus geholt, das er üblicherweise benutzte, nachdem er gesehen hatte, wie der Besitzer, den er seit fünf Jahren kannte, verrückt geworden war. Vor zwei Nächten hatte der Mann sein eigenes Haus niedergebrannt und dabei die ganze Zeit etwas von Schatten mit Klauen geschrien.
Seine Gedanken schweiften ab, weil die von der Straße aufsteigende Hitze ihn in eine Art Fieberwahn gleiten ließ. Bilder seiner Kinder stiegen in seinem Geiste auf, doch ihre Haut wies keine Spur der
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