Sturmbote
Knie, den Kopf wie zum Gebet gesenkt, die rechte Hand mit gespreizten Fingern vorgestreckt. »In dieser Stadt gibt es ein Übermaß an Schatten. Ich bin sicher, einige sind entbehrlich und können uns einen Dienst erweisen.«
Doranei wandte sich dem König zu, aber der zeigte keine Regung. Sein Gesicht war so ausdruckslos wie die Maske eines Harlekins, wurde jedoch von einem dämonischen Licht beleuchtet, als er nun den Lappen einer Flasche an eine Fackel hielt und sie Coran reichte, der sie auf die herannahenden Gestalten schleuderte. Doranei folgte der Flugbahn, bis sie aufschlug und eine
Pfütze brennender Flüssigkeit auf der Straße verteilte. Weitere Wachen erklommen die Barrikade und sprachen leise und grimmig miteinander. Doranei aber hörte nur auf das Prasseln des Feuers und das gedämpfte Geräusch von Cetarns Stimme.
Doranei war froh, dass er Cetarns Zauber nicht verstand, als sich die Schatten auf der Straße mit einem Mal wanden und verdrehten. Die Hand des Magiers zuckte im Einklang mit diesen Bewegungen, bis er die Kontrolle über die dunklen Formen auf dem Boden gewonnen hatte und anfing, sie zu bewegen und zu gestalten. Mit den entschlossenen Gesten eines Dirigenten vor seinem Orchester lockte er sie nach oben, zog sie aus den Senken und Spalten, bis sie durch die Luft glitten.
Doranei konnte durch die Schatten hindurch Gestalten erkennen, als blicke er durch verrußtes Glas, das sich über die ganze Breite der Straße erstreckte. Sie bewegten sich vor und zurück, starrten auf den dunklen Vorhang, konnten aber augenscheinlich nicht wie Doranei hindurchsehen.
Sie liefen verärgert auf und ab, weil ihre Beute von der Nacht verschluckt worden war, gaben schließlich auf und gingen die Straße entlang, über die die Männer aus Narkang gekommen waren, wandten sich dann nach Norden, den Farlan zu. Der Zauber war binnen einer Minute gewirkt, aber danach war Cetarn von der Anstrengung schweißbedeckt. Und die Soldaten erschauderten beim Anblick dessen, was er getan hatte. Endine schlug mit einem seltsam freudigen Gesichtsausdruck mit den Handflächen auf Cetarns dicken Bizeps ein.
»Wie lang wird das halten?«, fragte König Emin unbeeindruckt.
»Das kann ich nicht abschätzen«, antwortete Cetarn schwer atmend.
Der König nickte. Er kannte seine Magier gut genug, um ein unausgesprochenes »Ihr solltet froh sein, dass ich es überhaupt geschafft habe« abzulesen.
»Könnt Ihr mit uns weiterziehen?«
Cetarn fand die Kraft, über diese Frage beleidigt zu wirken. »Ich bin hier nicht der Schwächliche, Euer Majestät. Ich kann ebenso lang marschieren wie diese angeheuerten Schläger, die Ihr als Leibwache haltet.« Er schlug Doranei auf die Schulter und blickte ihn herausfordernd an, weil sich der jüngere Krieger gestrafft hatte und so Cetarns Gewicht etwas entgegensetzen konnte.
»Ah, süßes Los. Nicht Krieg noch Plagen vermögen es, uns voneinander fernzuhalten«, schnurrte eine lockende Stimme, die ein Kribbeln über Doraneis Rücken sandte. Neben ihm fiel Cetarns fröhliches Lächeln in sich zusammen. Doranei schnupperte unwillkürlich, denn er sehnte sich nach Zhias berauschendem Duft, als wäre er ein Rauschkraut. Er zuckte bei der plötzlichen Berührung ihrer weichen Finger an seiner Wange, aber sein Schreck schmolz unter ihrem Lächeln dahin.
»Dies ist wohl kaum die richtige Zeit, dem Jungen Gedichte vorzutragen«, sagte König Emin und senkte respektvoll den Kopf. Er trug seinen breitkrempigen Lieblingshut, der Stahlhelm baumelte unbeachtet an seinem Gürtel. Er hatte eine gelbbraune Eulenfeder in das Band gesteckt und nicht – so wie sonst – etwas Prächtigeres. Aber Doranei vermochte nicht zu sagen, warum. »Und ich habe Galasara immer für einen selbstgerechten Langweiler gehalten, von seinen letzten Klageliedern einmal abgesehen.«
Zhia hob eine Augenbraue. »Dichter und Könige errichten Standbilder zu eigenen Ehren«, sagte sie.
Doranei erkannte dies als ein Zitat Verliqs, des mächtigsten menschlichen Magiers der Vergangenheit, von dem nur unzählige Abhandlungen zum Wesen der Magie und des Landes erhalten waren.
Der König gab mit einem schmalen Lächeln nach. »Aber aus irgendeinem Grund ist es in beiderlei Hinsicht an mir, die Kosten zu tragen.«
Sie standen nun hinter der Barrikade und waren fürs Erste sicher, darum nahm sich Doranei die Zeit und nahm sie genauer in Augenschein. Die Barrikade war länger, als er erwartet hatte, zog sich um ein weites Gebiet vor
Weitere Kostenlose Bücher