Sturmbote
Azaer wird das Blut bekommen, nach dem es ihn verlangt, aber meine Soldaten schützen Tausende, die nicht sterben müssen.«
»Und dann? Was wollt Ihr tun, wenn die Morgendämmerung kommt und Ihr in einem eilig errichteten Lager irgendwo da draußen liegt. Diese Leute werden Euch dann nicht mehr folgen.«
»Vielleicht habe ich Euch überschätzt«, sagte Zhia tadelnd. »Ich bin nicht wie Ihr. Ich suche nicht nach der Bewunderung der Menge. Sobald sie die Stadt verlassen haben und in Sicherheit sind, ist mein Anteil an diesem Schauspiel beendet. Ich werde meiner eigenen Wege gehen. Haipar ist eine treuer sorgende Frau als ich, darum bin ich sicher, dass sie Helrect unbehelligt erreichen werden.«
»Dann werdet Ihr nicht mit uns gehen, um den Schädel zu erlangen ?«
»Ich habe bereits einen, wenn Ihr Euch erinnern wollt?« Zhias Augen funkelten, aber es lag keine Verärgerung in ihrer Stimme.
Sie zeigte keine Gefühle und hätte genauso gut auch am Hafen stehen und um einen Fisch feilschen können. »Mir liegt nichts am Herrschen. Je länger Velere Nostil diesen Schädel hatte, umso weniger konnte ich ihn leiden und umso stärker habe ich in gefürchtet.«
»Was meint Ihr damit?«
Zhia lachte kühl auf. »Seid vorsichtig, was Ihr Euch wünscht«, sagte sie und blickte König Emin in die Augen. »Es könnte für Euch keinen Segen bedeuten.«
»Ich suche nicht den Schädel.«
Doranei spürte den Stolz seines Königs, der eine Nation geformt und sich seine eigene Königskrone geschaffen hatte. Welcher Führer, Eroberer oder geborener König könnte der Versuchung des Schädels der Herrschaft widerstehen? Es hieß, dass er selbst denen, die ihn nicht als Waffe nutzen konnten, eine Aura der Macht verlieh. Doch König Emin kannte die Begierden nur zu gut, die ihn antrieben, um zum Tyrann zu werden.
»Aber natürlich sucht Ihr ihn.« Nun schmunzelte Zhia. »Wen Ihr auch tötet, welche Pläne Ihr auch zu vereiteln sucht – behauptet nicht, es würde Euch nicht reizen, ihn zu erlangen.«
Sie wandte sich ihren eigenen Männern zu, um sie zu mustern. Sie standen ängstlich zusammengekauert hinter der Barrikade und starrten in die Dunkelheit. Die Vampirin trug keinen Helm, ihr langes Haar lag so offen, dass in der zunehmenden Brise bei jeder ihrer Bewegungen schwarze, glänzende Locken um ihr Gesicht wogten.
Nach einer Weile sagte sie: »Ich glaube nicht, dass ich hier wirklich gebraucht werde. Ich habe mich zurückgehalten, um die unvermeidlichen Streitereien zu verhindern, die sich aus meinem Handeln ergeben werden. Ihr braucht mich mehr, als Ihr glaubt.« Sie schloss für einen Augenblick die Augen und legte die Hand auf die Brust. Ihre Lippen formten etwas, das für
Doranei nach »Komm« aussah. Dann blickte sie wieder zum König auf.
»Bernstein!« Sie rief den Menin-Soldaten zu sich, der in höflicher Entfernung, aber doch nah genug, um alles sehen zu können, gewartet hatte. Er brummte als Antwort nur und richtete sich auf.
»Oberst Bernstein, ich glaube, es wird Zeit für mich, zu gehen«, sagte Zhia. »Ihr braucht mich hier nicht mehr – und wie ein Mann, den ich einst kannte, einmal gesagt hat: ›Wenn Freunde eintreffen, soll die Reise beginnen.‹ Bleibt bei Haipar und Ihr seid sicher. Ich komme sie besuchen, sobald diese Angelegenheit erledigt ist, ich werde also erfahren, wenn Euch ein Unglück geschieht.« Dabei sah sie König Emin grimmig an.
Bernstein wurde von dieser Ankündigung in eine bessere Laune versetzt. Ohne Zweifel hatte er bereits Wetten angenommen, welcher Bruder ihm auf die Fersen gehetzt würde. Es mochte wichtig sein, dass man Kastan Styrax, dem Lord der Menin, in den nächsten Jahren alle Nachrichten vorenthielt. Doranei wusste, dass sie es trotzdem versuchen würden, aber wenn sie dafür warten mussten, bis die Söldnerarmee Scree weit hinter sich gelassen hatte, würde es bedeutend schwieriger werden.
Ein ängstliches Klagen ging von der zusammengekauerten Masse am Fuße der Wand aus, und die abgerissenen Flüchtlinge teilten sich, um für die anderen Menin-Soldaten in der Stadt Platz zu machen. Der Vampir Mikiss sah gänzlich anders aus als der verwirrte und blutverschmierte Bote, den Doranei auf dem Boden von Zhias Arbeitszimmer hatte liegen sehen. Er ging auf sie zu, das Gesicht im Schatten, als weigerten sich die Flammen, ihr Licht darauf fallen zu lassen. Er trug einen dicken, reich verzierten, himmelblauen Mantel und in seinem blutroten Gürtel steckten zwei Äste, deren
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