Sturmbote
dem Grünen Tor, einschließlich einer ganzen Straße. Aus den dort stehenden Häusern stammte wohl auch das Baumaterial für die Barrikade. Der Grund für die Größe, das waren die Tausende von verängstigten Bürgern, die sich vor dem Tor zusammendrängten und nun zu den Neuankömmlingen hinüberblickten.
»Flüchtlinge?«, fragte der König und wies auf die Menschenmenge.
»Aber natürlich, Ihr glaubt doch nicht etwa, die ganze Stadt sei dem Wahnsinn anheimgefallen?«, fragte Zhia. »Dies sind die Reste der Bürgerschaft Screes, die wenigen, die der Zauber verschont hat. Viele stammen nicht von hier, was uns auch etwas über die Art des verwendeten Zaubers verrät. Doch ich hatte noch keine Zeit, Einzelheiten herauszufinden. Sobald mein Bruder die verbleibenden Heere vor dem Tor ausgelöscht hat, können wir diese Leute fortschaffen. Sie sind unschuldig in dieses Spiel hineingeraten und ich will Azaer so viele Opfer wie möglich vorenthalten.«
Sie trug das Gleiche wie bei ihrer letzten Begegnung, diese merkwürdige Mischung aus Röcken mit weißem Muster und Rüstung. Der Weiße Zirkel hatte vermutlich strenge Ansichten über Frauen, die mit Männern kämpften, aber er konnte sich an Lord Isaks Worte erinnern, dass ihre Königin ein Weißauge gewesen war. Und wie König Emin nur zu gern zeigte, ahmte das Volk die Angewohnheiten ihrer Monarchen so gut es konnte nach. Zhia trug den Schal des Weißen Zirkels noch immer um den Hals geschlungen, so dass er bis über ihren mit Perlen verzierten Kürass hing.
Auf ihrem Rücken hing das Schwert mit den seltsamen Maßen, eine bei den Vukotic verbreitete Waffe, wie ihm nun einfiel,
als er sich an die Worte seines Schwertmeisters erinnerte. Seine Ausbildung schien in einem anderen Leben stattgefunden zu haben. Wie die meisten in der Bruderschaft war Doranei eine Kriegswaise. Man brachte ihnen im Waisenhaus grundlegende Waffenfertigkeiten bei – und wer vielversprechende Ansätze zeigte, wurde an die Straßenbande übergeben, die König Emin zum Ausbildungsort für seine jungen Leibwachen erkoren hatte. Es war ein seltsames Doppelleben, morgens Diebstähle und Botengänge für die Spielhöllen, nachmittags dann Unterricht bei adligen Fechtmeistern und Helden aus dem Heer.
Doranei lächelte. Hatte sich wirklich so viel geändert? An einem Tag hatte er es mit Dieben und Mördern zu tun, am nächsten mit Königen und Prinzessinnen. Man musste nur den Unterschied kennen.
»Ich nehme an, Ihr jagt dem Schädel hinterher«, sagte Zhia. »Aber warum? Ich habt selbst keine Gabe, warum also eine solche Gefahr für ein Schmuckstück eingehen, das im besten Fall einen unzuverlässigen Schutzschild darstellt?«
Der König leugnete den Grund nicht, warum er nach Süden zog. Er wusste, dass jeder Magier in der Stadt den leichtsinnigen Einsatz des Artefakts hatte bemerken müssen. »Andere werden ihn ebenfalls suchen, andere, denen ich nicht gestatten werde, eine solche Waffe in Besitz zu nehmen. Ich nehme an, dass der Barde ihn sich sichern möchte, und im Augenblick ist er einer der Männer im Land, die ich am liebsten töten möchte, ganz abgesehen von der Macht, die er durch den Schädel erhielte.«
»Wisst Ihr, welcher es ist?« Zhia musterte ihn eindringlich.
»Lord Isak vermutete, dass es Herrschaft sei, und ich neige dazu, ihm zuzustimmen. Er ist der mächtigste, und darum begehrt ihn der Schatten.«
»Und ist es das Risiko wert? Es ist eine Sache, eine Barrikade gegen den Mob zu verteidigen, aber eine ganz andere, ihm auf offenem
Feld zu begegnen – man wird Euch in Stücke reißen.« Zhia wies nach Süden, auf einen orangefarbenen Schein, der den Himmel erleuchtete. »Diese Feuer treiben sie vor sich her, und so fähig Eure Leibwachen auch sein mögen, sie können es nicht mit einer Horde von Irrsinnigen aufnehmen.«
»Dann begleitet uns«, sagte König Emin einfach. »Ihr könntet uns sicher dorthin geleiten und Rojak aufhalten, selbst wenn er den Schädel gefunden hat. Doranei berichtete mir, dass Ihr diese Leute hier in Sicherheit bringen wollt?«
Zhia nickte und ihr Blick huschte kurz zu Doranei, der ihn jedoch nicht erwidern mochte. »Ich wüsste nicht, warum sie alle sterben sollten, nur damit ein bösartiger Schatten ihre Tode zur Verkündigung seiner Anwesenheit im Land nutzen kann. Ich habe die Umherwandernden gesehen. Sie haben jeden Sinn für Vernunft oder Sicherheit verloren, und wenn sich die Feuer in der Stadt ausbreiten, werden sie alle sterben.
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