Sturmbote
der Mann ist zu schlau, um auf Dauer Befehle von jemandem entgegenzunehmen. Genug der Spiele – du musst das für mich tun. Wirst du?« Isak spuckte sich in die Hand und hielt sie Morghien hin.
Morghien dachte einen Augenblick nach, dann tat er es Isak gleich und sie besiegelten die seltsame Abmachung mit einem Handschlag. Sogar in der Wärme des Tages fühlte sich Morghiens ledrige Hand kalt an.
»Wenn wir schon aufbrechen müssen, dann aber bald«, rief Morghien Mihn zu, der im Schatten der Tür stand. »Es macht keine Freude, das Grüne Meer in der Zeit der Stürme zu befahren. Mit einem herzöglichen Befehl von dir, Lord Isak, könnten wir schon morgen aufbrechen.«
Mihn nickte dazu und kam zu ihnen hinüber. Er trug ebenfalls nur ein dünnes Hemd und Isak konnte erkennen, wie schlank er war. Er bestand nur aus Sehnen und drahtigen Muskeln. Es war nicht verwunderlich, dass die Harlekine ihr Geschlecht so gut verbergen konnten, wenn sogar die Männer so dünn waren. Sie wirkten geschlechtslos und viele hielten sie nicht einmal für Menschen, denn ihre Gaben konnten beinahe übernatürlich erscheinen. Die Harlekine wurden von Geburt an geschult. Sie bewahrten
die Geschichte aller sieben Stämme der Menschen in ihrer Erinnerung und konnten die Sprache jedes Einzelnen nachahmen.
»Mihn, du bist seit Wochen auf der Reise«, sagte Isak. »Ruh dich wenigstens eine Weile aus, bevor du wieder aufbrichst. Ich bin sicher, dafür ist Zeit genug.«
Mihn schüttelte den Kopf. »Morghien hat recht. Wir sollten so schnell wie möglich aufbrechen. Ich werde morgen früh bereit sein. Mit einem herzöglichen Schreiben werden wir nicht allzu viel Proviant mitnehmen müssen, sondern können unterwegs etwas einfordern. Gebt uns frische Pferde – und schon sind wir auf dem Weg.«
Isaks Laune verschlechterte sich bei dem Gedanken daran, wieder in den Sattel zu steigen. Darum war er erstaunt, dass Mihn so einfach zum Aufbruch bereit war, zumal er es nicht nach Tirah zurückschaffen würde, bevor der Winter das Land lähmte. Aber es war seine Schuld, dass Morghien und Mihn dorthin reisen mussten, also würde er es sie auf ihre Weise tun lassen.
»Ihr beide steht euch an Dickköpfigkeit in nichts nach«, meckerte er. »Aber gut, wenn ihr es so haben wollt. Ihr brecht morgen auf.«
Die Rückkehr der Beizjäger führte zum Mittagessen, auf das ein Nachmittag voller Sommerspiele folgte. Isak ließ sich mit kleinen Scherzen auf seine Kosten unterhalten, geäußert von normalerweise zurückhaltenden Matronen und Kindern, die das Weißauge in ihre Spiele miteinbezogen.
Der Sommer war die Zeit der Entspannung für die Farlan-Adligen. Und da es eine kurze Jahreszeit war und viel zu oft von Kriegszügen mit Beschlag belegt wurde, wurde jede Gelegenheit für ein geselliges Zusammensein besonders begeistert genutzt. Einer solchen Lebensfreude war Isak bisher noch nie begegnet. Er hatte nicht geglaubt, dass Menschen so leben konnten, weil er
mit dem Rest der Leute aus dem Wagenzug zu jeder hellen Stunde des Tages gearbeitet hatte. Die Adligen der Farlan nahmen ihre sommerlichen Vergnügungen ernst, von der Pflicht des Hausherrn, jedem Mädchen unter seinen Mitbewohnern zum Geburtstag auf Knien eine Schale mit wilden Erdbeeren zu schenken bis zum kindisch begangenen Apfelfest, das die Trinkspiele der Soldaten beinahe bedacht erscheinen ließ. Und zu seiner Überraschung liebte Isak all dies.
An diesem Nachmittag kniete er mit drei jauchzenden Kindern, jungen Verwandten der Gräfin, auf dem breiten Rücken am Boden. Vesna und Tila standen händchenhaltend daneben.
»Aus solchen Ereignissen erwachsen die schönsten Jugenderinnerungen«, sagte Vesna lächelnd.
»Ganz sicher«, stimmte Tila lachend zu. »In vier Sommern werden sie entsetzt sein, wenn sie sich daran erinnern, wie sie auf Lord Isak herumgeklettert sind und den Herzog in seine weiße Hand gebissen haben.«
Sie kicherte, als Isak den Arm ausstreckte, damit die Jungen daran baumeln konnten, als wäre er ein Ast. Mit einem Aufschrei stürzte sich auch ein kleines Mädchen auf den Arm und versuchte, die Jungs herunterzuwerfen. Isak konnte sich beinahe vorstellen, dies wären Tilas Kinder, mit denen er spielte, während sie und der Graf mit elterlichem Stolz zusahen. Isak kitzelte das Mädchen, das lachte und quiekte, und erkannte, dass er in den nächsten Wochen ein wenig die Kindheit nachholen könnte, die ihm in der Vergangenheit versagt worden war. Die Mühen des
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