Sturmbringer
zwischen den Blättern einen hohen gewölbten Eingang aus, verschlossen durch Messingtore, die goldverziert waren.
»Du bist zwar stark, Sturmbringer«, sagte er zu seinem Schwert, »aber ich möchte wissen, ob du stark genug bist, in dieser Welt zu kämpfen und meinem Körper Vitalität zu schenken. Wir wollen dich auf die Probe stellen.«
Er näherte sich dem Tor, hob den Arm und führte mit dem Runenschwert einen gewaltigen Hieb dagegen. Das Metall hallte, und eine Delle erschien im Tor. Wieder schlug er zu, diesmal das Schwert mit beiden Händen führend, doch plötzlich schrie eine weibliche Stimme von rechts:
»Welcher Dämon will die Ruhe des toten Roland stören?«
»Wer spricht da die Sprache Melnibones?« gab Elric kühn zurück.
»Ich spreche die Sprache der Dämonen, weil ich spüre, daß du ein solcher bist. Ein Mulnebonnie ist mir nicht bekannt, dabei kenne ich mich mit den überlieferten Geheimnissen gut aus.«
»Eine ziemlich laute Prahlerei für eine Frau«, sagte Elric, der die Sprecherin noch nicht gesehen hatte. In diesem Augenblick kam sie um den Grabhügel herum und starrte ihn mit glühenden grünen Augen an. Sie hatte ein schmales wunderschönes Gesicht und war beinahe so bleich wie er, wohingegen ihr Haar pechschwarz schimmerte. »Wie heißt du?« fragte er. »Und bist du auf dieser Welt geboren?«
»Ich heiße Vivian, ich bin eine Zauberin, doch irdischen Ursprungs. Dein Herr kennt den Namen Vivian, die einmal Roland liebte, obwohl er zu aufrecht war, um sich mit ihr abzugeben, denn sie ist unsterblich und eine Hexe.« Sie lachte gutmütig. »Deshalb bin ich mit Dämonen deinesgleichen vertraut und habe keine Angst vor dir. Aroint dich! Aroint dich - oder soll ich Bischof Turpin rufen, um dich zu exorzieren?«
»Einige deiner Worte«, sagte Elric höflich, »sind mir fremd, und die Sprache meines Volkes wirkt sehr entstellt. Bist du eine Wächterin am Grab dieses Helden?«
»Eine Art selbsternannte Wächterin, ja. Und jetzt geh!« Sie deutete auf die Steinbrocken.
»Das ist nicht möglich. Die Leiche dort drinnen besitzt etwas, das für mich wertvoll ist. Wir nennen es das Horn des Schicksals, du kennst es sicher unter einem anderen Namen.«
»Olifant! Aber das ist das heilige Instrument! Kein Dämon würde wagen, es zu berühren! Selbst ich.«
»Ich bin kein Dämon. Ich bin Mensch genug, das schwöre ich dir. Jetzt tritt zur Seite. Diese verwünschte Tür widersetzt sich meinen Bemühungen schon zu lange.«
»Ja«, sagte sie nachdenklich. »Du könntest ein Mensch sein - allerdings ein recht seltsamer. Aber das weiße Gesicht und das Haar, die roten Augen, die Sprache, die du sprichst.«
»Zauberer bin ich wohl, doch kein Dämon. Bitte - mach Platz.«
Sie blickte ihm eingehend ins Gesicht, und ihr Ausdruck beunruhigte ihn. Er faßte sie an den Schultern. Sie fühlte sich durchaus real an, trotzdem ließ sie irgendwie kein Gefühl der Nähe aufkommen. Es war, als befinde sie sich in großem Abstand von ihm. Die beiden starrten sich an, beide neugierig, beide beunruhigt. Er flüsterte: »Was könntest du über meine Sprache wissen? Ist diese Welt ein Traum der meinen oder der Götter? Sie kommt mir kaum greifbar vor. Warum?«
Sie hörte seine Worte. »Sprichst du so von mir? Was ist mit deiner gespenstischen Erscheinung? Du kommst mir wie ein Geist aus der toten Vergangenheit vor.«
»Aus der Vergangenheit! Aha - und du kommst aus der Zukunft, die noch ungeformt ist. Vielleicht bringt uns das zu einer Schlußfolgerung!«
Sie verfolgte das Thema nicht weiter, sondern sagte plötzlich: »Fremder, du wirst diese Tür niemals einschlagen. Wenn du Olifant berühren kannst, weist dich das trotz deines Äußeren als Sterblichen aus. Du scheinst das Horn dringend zu brauchen.«
Elric lächelte. »Ja - wenn ich es nicht dorthin zurückbringe, woher es gekommen ist, wirst du niemals existieren!«
Sie runzelte die Stirn. »Andeutungen! Andeutungen! Es kommt mir vor, als stünde ich dicht vor einer großen Entdeckung, doch begreife ich nicht, warum, und das ist bei Vivian sehr ungewöhnlich. Hier.« - sie zog einen großen Schlüssel unter ihrem Kleid hervor und reichte ihn Elric - »das ist der Schlüssel zu Rolands Grab. Es ist der einzige. Ich mußte jemanden töten, um ihn zu erhalten, doch oft dringe ich in die Düsternis seines Grabes ein, um sein Gesicht anzustarren und die Fähigkeit zu erflehen, ihn wiederzubeleben und ihn in meiner Inselheimat für immer am Leben zu
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