Sturmfahrt der Liebe: Er war der König der Meere - und sie die Herrscherin seines Herzens (German Edition)
atmen, um den Schmerz in ihrer Brust zu lindern. Gleichzeitig zitterte sie vor Nervosität. Eine neue Welt lag ihr zu Füßen, wartete darauf, von ihr erkundet zu werden, mit oder ohne Austin Blackwell.
Die Kutschentür flog zu, der Kutscher ließ seine Peitsche durch die Luft schnalzen, und der Wagen fuhr los. Die Räder rumpelten auf dem Kopfsteinpflaster, doch alles war so gut gefedert, dass Evangeline kaum etwas merkte.
Mr. Seward hatte ihren Koffer unter dem Sitz verstaut, und Evangeline presste sich ihr Gebetbuch so fest an die Brust, dass die Kante ihr auf den Busen drückte.
Sie räusperte sich. »Ich habe Lord Rudolph gar nicht gesehen. Ist er noch an Bord? Ich hätte mich gern von ihm verabschiedet.«
Seward schüttelte verwundert den Kopf. »Er ging als Erster von Bord, wartete schon, als die Gangway heruntergelassen wurde.«
»Ach ja?«, fragte sie mit einem Anflug von Unbehagen.
»Wahrscheinlich konnte er es nicht erwarten, seine englischen Freunde zu suchen. Und er dachte wohl auch, dass Captain Blackwell es gar nicht erwarten könnte, ihn loszuwerden.«
»Ja, wahrscheinlich. Aber …«
Dann hatte er es also nicht ernst gemeint, als er sie gebeten hatte, ihn zu heiraten und nach England zurückzubegleiten. In diesem Fall wäre er dageblieben, bereit, sie Austin in dem Moment zu entführen, in dem sie an Deck kam. Dass er einfach verschwunden war, erstaunte sie. Und es tat weh.
»Aber was?«
Sie sah Seward an. »Nichts. Ich hätte ihm lediglich gern noch Lebewohl gesagt, das ist alles.«
Enttäuscht blickte sie aus dem Fenster. Mussten alle Männer so schwer zu verstehen sein?
Die Kutsche bog in eine Straße ein, die leicht bergan führte. Hier schaukelte es so sehr, dass Evangeline nach dem Halteband über ihrem Sitz greifen musste.
Wo mochte Mr. Seward diese Kutsche aufgetrieben haben? Sie war sehr elegant und sogar noch komfortabler als Squire Dobbins’ zu Hause. Dabei war der Squire auf seine schon mächtig stolz und nahm in seinem Wagen nur solche Nachbarn mit, die er für hochrangig genug hielt. Diese Kutsche hier stellte sie eindeutig in den Schatten. Die Sitze waren weich gepolstert, die Wände samtbespannt, und am Boden gab es eine Feuerkiste, die angenehm warm glühte.
»Wohin fahren wir?«, fragte Evangeline nach einer Weile. »Meine Cousine wohnt in der Queen Street. Dort können Sie mich hinbringen.«
»Wir fahren in die Beacon Street, zu Captain Blackwells Haus.«
Sie erstarrte. »Zu Captain Blackwells Haus?«
»Ja. Das hier ist seine Kutsche. Er sagte mir, dass ich Sie zu seinem Haus bringen soll.«
»Sagte er?«
»Es war ein Befehl. Und ich soll bei Ihnen bleiben und auf Sie aufpassen.«
Das vage Bedauern, das sie eben noch empfunden hatte, wich schlagartig. »Er ist das unausstehlichste, arroganteste männliche Wesen, das mir je untergekommen ist!«, schimpfte sie. »Halten Sie sofort die Kutsche an, und lassen Sie mich aussteigen!«
Seward machte große Augen. »Auf keinen Fall. Ich habe Weisung, für Ihre Sicherheit zu sorgen, und das werde ich. Ich kann Sie unmöglich mitten im Bostoner Hafenviertel stehen lassen!«
»Dann waren Sie die ganze Zeit auf seiner Seite! Und ich dachte, Sie wären mein Freund!«
»Ich verstehe nicht. Warum wollen Sie nicht zu Captain Blackwells Haus? Sie werden ihn schließlich heiraten. Er bat mich, sein Trauzeuge zu sein«, erklärte er voller Stolz.
»Nein, er will mich in die Ehe zwingen, obwohl ich nicht will.«
»Ich dachte, Sie lieben ihn«, sagte Mr. Seward verwirrt.
Evangeline wollte etwas erwidern, besann sich dann jedoch anders und sank zurück in die weichen Polster. Was hätte sie auch sagen sollen? Ihre Gefühle waren ein heilloses Durcheinander, und was immer sie erwiderte, der freundliche Mr. Seward würde es ohnehin nicht verstehen.
Für einen Moment überlegte sie, sich aus der Kutsche zu stürzen und ihr Glück allein zu versuchen, aber diese Idee verwarf sie gleich wieder. Zweifellos würde sie sich dabei bloß verletzen, und außerdem hatte sie keine Ahnung, wo sie war. Sich in ein spanisches Gefängnis zu sprengen schien ihr auf einmal weniger beängstigend, als allein bei Nacht durch diese dunkle belebte Stadt zu irren. Vielleicht konnte sie von Austins Haus aus in Erfahrung bringen, wie sie zu ihrer Cousine gelangte, und ihre Flucht planen.
Die Kutsche fuhr durch enge Straßen weiter bergan. Zu beiden Seiten standen hellerleuchtete Häuser hinter hohen Bäumen. Manche von ihnen hatten vorn große
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