Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
hundertprozentig auf Ihre Diskretion verlassen können.«
»Das können Sie. Diskretion hat bei mir oberste Priorität. Alles, was Sie mir erzählen, wird von mir absolut vertraulich behandelt, egal, ob es zu einem Auftrag kommt oder nicht. Und da gibt es auch keine Ausnahmen.«
»Gut.« Daniel atmete erleichtert auf. Der Mann klang vertrauenswürdig. Zudem war er ihm von einem seiner besten Freunde empfohlen worden, der schon mit ihm zusammengearbeitet hatte. Dieser war davon überzeugt gewesen, dass Lobinski absolut zuverlässig war. »Es ist eine etwas längere Geschichte. Ich hoffe, Sie haben ein paar Minuten Zeit für mich.«
»Solange Sie wollen. Schießen Sie los.«
»Wie gesagt komme ich aus Lausanne«, fing Daniel immer noch zögerlich an zu berichten. »Meiner Familie gehört eine Privatbank, die schon seit mehreren Generationen existiert und in der Wirtschaft wie bei Privatleuten inzwischen einen hervorragenden Ruf genießt. Um es auf den Punkt zu bringen – meine Familie ist sehr wohlhabend. Leider bringt Geld nicht immer nur Vorteile mit sich, sondern auch gewisse Gefahren. Viele reiche Menschen leben wie in einem goldenen Käfig, weil sie ständig Angst vor Kriminellen haben, wie Sie sicher wissen. Nun, in unserer Familie war das ganz anders. Meine Eltern lebten völlig normal, und mein Bruder und ich konnten spielen und draußen herumtoben wie alle anderen Kinder auch. Es gab Regeln, die wir einhalten mussten, sonst hatten wir aber alle Freiheiten. Zumindest bis zu diesem Tag vor fünfzehn Jahren.«
»Was ist passiert?«, fragte Lobinski leise, als Daniel nicht weitersprach.
»Ich war mit meinem Bruder Sébastien draußen im Wald. Ich war damals sechzehn, er erst neun, und er ist mir häufig ganz schön auf die Nerven gegangen, weil er immer mit mir mitkommen wollte. Aber eigentlich mochte ich ihn sehr gern, und er hat natürlich voller Stolz zu seinem großen Bruder aufgesehen. Manchmal habe ich mir dann auch Zeit für ihn genommen, wenn ich gerade nichts Besseres vorhatte. So wie an diesem Tag.«
Er presste kurz die Lippen aufeinander und senkte die Stimme, als er weitersprach. »Unser Haus lag am Rand von Lausanne, in der Nähe eines kleinen Sees. Das Ufer war von dieser Seite aus kaum zugänglich, man konnte es eigentlich nur von unserem Grundstück aus erreichen. Deshalb konnten wir da immer ganz ungestört machen, was wir wollten. Wir waren gerade dabei, ein Floß zu bauen, als plötzlich die Männer kamen. Sie waren zu viert und trugen schwarze Kleidung und Skimasken. Sofort, als ich sie gesehen habe, wusste ich, dass etwas sehr Schlimmes auf uns zukommen würde. Ich schrie Sébastien noch zu, er solle wegrennen, aber er hatte solche Angst, dass er wie in Schockstarre stehen blieb. Einer der Männer schnappte ihn, hielt ihm mit einer Hand ein Tuch vor den Mund und trug ihn weg, als würde er fast nichts wiegen.«
»Und was war mit Ihnen?«, hakte Lobinski nach.
Daniel grinste freudlos. »Ich hatte Glück. Mich schlugen die Kerle nur nieder, knebelten mich und fesselten mich an einen Baum. Meine Eltern fanden mich ein paar Stunden später. Die Entführer hatten sie angerufen und Lösegeld von ihnen gefordert, fünf Millionen Franken. Sollten meine Eltern die Polizei benachrichtigen, wollten sie Sébastien sofort töten. Dabei hatten sie auch gesagt, wo meine Eltern mich finden würden. Natürlich wollte mein Vater sofort die Polizei einschalten, doch meine Mutter war dagegen. Sie war fest davon überzeugt, dass die Entführer meinem Bruder etwas antun würden, wenn sie sich nicht strikt an ihre Anweisungen halten würden. Und sie hat sich durchgesetzt.«
Lobinski kniff die Augen zusammen. »Haben Ihre Eltern das Lösegeld bezahlt?«
»Ja«, erwiderte Daniel knapp. Er fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare. »Leider ohne Erfolg. Sébastien ist nie wieder aufgetaucht. Niemand weiß, was mit ihm passiert ist. Natürlich hat die Polizei ermittelt und auch einige Spuren verfolgt, aber alle liefen ins Leere. Meine Eltern und ich haben noch monatelang gehofft und gebangt, aber irgendwann mussten wir doch einsehen, dass wir ihn wohl niemals wiedersehen werden.«
»Aber jetzt ist irgendetwas passiert, was die Sache in einem neuen Licht erscheinen lässt«, vermutete Lobinski. Als er sah, dass sein Besucher erstaunt die Augenbrauen hochzog, grinste er. »Sonst wären sie doch nicht hier, oder?«
»Richtig«, gab Daniel zu. Auch ihm gelang ein flüchtiges Grinsen. »Natürlich hat mir
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