Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
Sie hatte ein drei- oder vierjähriges Kind auf dem Arm, dem sie ganz nebenbei mit einem Papiertaschentuch die Nase abwischte.
»Ja, bitte?« Die Frau lächelte freundlich, wenn auch distanziert.
Suna entschied sich dafür, dass sie hier mit der Wahrheit vermutlich am weitesten kommen würde. »Mein Name ist Suna Lürssen. Ich würde gern mit Herrn und Frau Katridis sprechen«, begann sie freundlich.
»Wollen Sie etwas verkaufen? Wir haben alles, was wir brauchen.«
»Nein, darum geht es nicht.« Suna bemühte sich um ein gewinnendes Lächeln. »Ich bin wegen Mark hier, Mark Sennemann. Sind Sie Frau Katridis?«
Die Frau nickte. Bei der Erwähnung des Namens ihres Pflegesohns hatte sich ihre Miene sofort versteinert. »Sei so lieb und geh ins Wohnzimmer spielen«, wandte sie sich an den Kleinen, bevor sie ihn behutsam auf dem Boden absetzte. Nachdem der Junge hinter der nächsten Tür verschwunden war, sah sie wieder Suna an.
»Mein Mann ist nicht da. Und ich möchte zu dem Thema eigentlich nichts mehr sagen.« Sie machte eine kurze Pause, bevor sie hinzufügte: »Sie sind doch von der Presse, oder? Sie können direkt wieder gehen.«
Sie machte Anstalten, die Haustür wieder zu schließen, doch Suna hielt sie sanft, aber bestimmt zurück. Die Medien mussten nach Marks Tod ziemlich aufdringlich gewesen sein, wenn sowohl Marks Chef als auch seine Pflegemutter Pressevertreter sofort vor die Tür setzen wollten, dachte sie grimmig.
»Frau Katridis, bitte hören Sie mir kurz zu, nur eine Minute«, begann Suna in eindringlichem Tonfall. »Ich bin weder von einer Zeitung noch vom Fernsehen, und ich möchte garantiert keine sensationellen Informationen in die Öffentlichkeit bringen. Ich bin private Ermittlerin und wurde von Fenja Sangaard beauftragt, die Hintergründe des Falls zu untersuchen. Sie wissen, wer das ist?«
Wieder nickte die Frau, sagte aber nichts.
»Nun, wie Sie sicher wissen, geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass Frau Sangaard in Notwehr gehandelt hat, weil Mark sie fast erwürgt hätte. Deshalb wurde das Verfahren ja auch eingestellt. Jetzt ist es aber so, dass Frau Sangaard selbst sich gar nicht vorstellen kann, dass Mark sich ihr gegenüber so aggressiv verhalten hat. Sie hat mir erzählt, dass sie ihn nur als ruhigen, ausgeglichenen Menschen kennengelernt hat, und dass es überhaupt nicht zu seinem Charakter gepasst hätte, wenn er einfach so auf sie losgegangen wäre.«
Suna beobachtete Frau Katridis genau, während sie sprach. Sie war sich sicher, den richtigen Ton getroffen zu haben, denn der Gesichtsausdruck der Frau war bei ihren letzten Worten merklich weicher geworden. Einen Augenblick zögerte diese noch, dann machte sie zaghaft eine einladende Geste.
»Kommen Sie rein. Ich glaube, das sollten wir nicht unbedingt an der Haustür besprechen.« Ihre Stimme klang immer noch kühl, aber längst nicht mehr so abweisend wie vorher.
Suna folgte ihr durch einen schmalen Flur in ein großzügiges Wohnzimmer. Dort saß der Kleine, den Frau Katridis beim Öffnen der Haustür auf dem Arm gehabt hatte, und spielte mit einer komplizierten Holzmurmelbahn. Verlegen schielte er unter seinen dichten schwarzen Haaren zu Suna hin.
»Das ist Luis, unser jüngstes Pflegekind«, erklärte Frau Katridis, und sofort schwang ein warmer Unterton in ihrer Stimme mit. »Er ist jetzt seit drei Monaten bei uns und noch ein bisschen schüchtern. Die beiden Großen, Marie und Finn, sind noch in der Schule.«
»Hallo, Luis«, begrüßte Suna den Jungen, der sich sofort hinter einem Sessel vor ihr versteckte.
Frau Katridis lachte liebevoll auf. »Keine Angst, das ist ganz normal bei ihm, aber das wird schon noch. Ach ja, möchten Sie vielleicht etwas trinken? Einen Kaffee?«
»Sehr gern«, gab Suna prompt zurück, obwohl sie während der Fahrt nach Hannover eigentlich schon viel zu viel davon getrunken hatte. Wahrscheinlich würden ihre Nerven auf der Rückfahrt Samba tanzen, aber sie wusste, dass es vielen Menschen leichter fiel, unbefangen zu reden, wenn sie mit irgendetwas beschäftigt waren, und sei es nur mit Kaffee kochen. Sie folgte Frau Katridis in die nicht mehr ganz zeitgemäße, aber gemütlich eingerichtete Küche und setzte sich auf einen Wink ihrer Gastgeberin hin an den Küchentisch.
Diese achtete darauf, dass sie den kleinen Luis durch die geöffnete Tür hindurch im Blick hatte, während sie Wasser in den Tank der Kaffeemaschine füllte.
»Also, wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher