Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
Katie über ihr Reisebüro für ihn organisiert hatte. Zum Glück war auf sie immer Verlass. Lobinski wusste nicht, wie sie es anstellte, aber irgendwie schaffte sie es immer, noch einen Flug oder ein Hotelzimmer zu bekommen, egal wie knapp die Zeit war.
So war es auch diesmal gewesen. Da er erst kurz vor Mitternacht eingecheckt hatte, war er kaum zur Ruhe gekommen. Lange vor dem Morgengrauen war er aus seinem Hotel aufgebrochen, hatte das beim Bootsverleih für ihn bereitstehende Boot übernommen und war zur Insel Kelkoya hinübergefahren.
Es handelte sich dabei um eine der kleineren Inseln, auf der außer den Söhnen der Erde niemand lebte. Im Internet hatte er sich Luftaufnahmen der Region angesehen. Auf der dem Festland zugewandten Seite hatte die Sekte ihre kleine Siedlung errichtet, die von Feldern und kleinen Weiden umgeben war. Auf der Seite zum Meer befand sich ein niedriger Wald. Hier hatte er angelegt.
Es war ziemlich schwierig gewesen, einen Felsen zu finden, der sich einigermaßen als Anlegeplatz geeignet hatte, und die Dunkelheit hatte es nicht eben leichter gemacht. Zum Glück hatte er mindestens die Hälfte seiner Kindheit auf dem Wasser verbracht. Mit Booten ging er so selbstverständlich um wie andere mit ihrem Fahrrad. Trotzdem hatte er eine kleine Panne gehabt. Die Schraube des Außenbordmotors, mit der er beim Anlegemanöver kurz den Grund touchiert hatte, würde er dem Bootsverleiher vermutlich ersetzen müssen, doch das war ein geringes Übel, das er gern in Kauf nahm.
Im Schutz der Dunkelheit hatte er sich langsam an die Behausung der Sekte herangetastet. Neben dem Haupthaus, in dem vermutlich die Wohnräume lagen, gab es einige kleine Nebengebäude. Dem Geruch nach zu urteilen waren es Ställe für Ziegen, Schweine und Geflügel.
Lobinski hatte fest damit gerechnet, dass das Areal bewacht oder zumindest von einem hohen Zaun umgeben sein würde. Umso überraschter hatte er festgestellt, dass keines von beiden der Fall war. Obwohl die Sonne gerade erst aufzugehen begann, hatte bei den Ställen schon rege Betriebsamkeit geherrscht. Der Privatdetektiv hatte mehrere Männer entdeckt, die sich um die Tiere gekümmert hatten und anschließend wieder im Haus verschwunden waren. Kurz nach Sonnenaufgang waren dann noch mehr Leute aus dem Haus gekommen, hatten auf einer schneebedeckten Wiese dicke Matten in einem Kreis ausgelegt und sich daraufgesetzt. Wie Lobinski gezählt hatte, waren es sechzehn Männer gewesen. Frauen hatte er nirgendwo entdeckt.
Gespannt hatte der Privatdetektiv darauf gewartet, was dann passierte – nichts! Anscheinend waren die Mitglieder der Söhne der Erde nur zum Meditieren nach draußen gekommen. Mehr als eine Stunde hatten sie regungslos auf ihren Matten gesessen, wobei der eiskalte Wind keinem von ihnen etwas auszumachen schien. Erst als einer der älteren Männer, von dem Lobinski annahm, dass es sich um den Anführer oder zumindest einen Ranghöheren handeln musste, etwas gesagt hatte, war die Gruppe ins Haus zurückgekehrt.
Seitdem waren fast vier Stunden vergangen, ohne dass sich eines der Sektenmitglieder hätte draußen blicken lassen.
Lobinski warf den Stummel seiner Zigarette weg und sah zu, wie er im Schnee erlosch. Dann hüpfte er vorsichtig auf und ab, um sich wenigstens etwas warm zu halten. Seine Füße fühlten sich trotz der dick gefütterten Stiefel schon ganz taub an, und seine Hände waren so durchgefroren, dass er kaum noch das Fernglas halten konnte. Einen Augenblick lang war er in Versuchung, sich in einen der Ställe zu verziehen, aber er verwarf den Gedanken schnell wieder. Wenn die Viecher ordentlich Krach machten, würden sie vielleicht die Aufmerksamkeit der Sektenmitglieder auf ihn lenken, mal ganz abgesehen von dem Geruch, den er anschließend ausströmen würde. Nicht gerade die beste Voraussetzung, um sich unbemerkt anschleichen zu können, dachte er mit einem schiefen Grinsen.
Plötzlich richtete er sich interessiert auf. Am Haus tat sich etwas.
Er nahm den Feldstecher und richtete ihn direkt auf die Tür. So konnte er die Gesichter der heraustretenden Männer gut erkennen. Wieder kamen alle sechzehn ins Freie, und wieder war Sébastien oder Lukas, wie er sich jetzt vielleicht nannte, nicht unter ihnen. Wie schon einige Stunden zuvor ordneten sie sich im Kreis zur Meditation an.
Lobinski überlegte ein paar Sekunden, dann fasste er einen Entschluss. Er hoffte, dass die Meditation ähnlich ablief wie am Morgen – und ähnlich lange
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