Sturmflut mit Schokoladenengel
miteinander, und du willst ihn schon heiraten? Du bist ja verrückt!“
*
Die Tage bis zum Wochenende waren schlimm. Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Durchfall. Ich quälte mich.
Häufiger als sonst stand ich vor dem Spiegel meines Sprechzimmers und betrachtete mein schmales Gesicht: Es war bleich geworden und wirkte erschöpft. Meine Augen flackerten, als würde etwas mich hetzen.
Warum um alles in der Welt hatte ich Jens nicht noch am gleichen Abend mein Jawort gegeben? Ständig kreisten meine Gedanken um diese Frage. Ich schluckte ein leichtes Beruhigungsmittel.
Wieder und wieder versuchte ich, mir ein Leben an der Seite von Jens Kanter vorzustellen. Die Vorstellung hatte etwas Beruhigendes. Doch zugleich stimmte etwas daran nicht.
Manchmal, wenn ich aus meinem Sprechzimmer trat, ertappte ich mich dabei, wie meine Augen das Vorzimmer nach einer braungekleideten Gestalt absuchten. „Der Schokoladenengel kommt gar nicht mehr“, seufzte Tina.
Ich tat, als hörte ich es nicht. Spinnst du eigentlich völlig? Streng ging ich mit mir selbst ins Gericht. Sofort hörst auf, an diesen Paketboten zu denken!
Am Donnerstagabend glaubte ich, meine Gefühle wieder unter Kontrolle zu haben. Ich entschied mich, Jens Kanters Antrag anzunehmen.
Nachdem Frau Busch sich verabschiedet hatte, schloss ich die Tür zu meinem Behandlungszimmer und griff zum Telefon. Mein Blick fiel auf die Türklinke – und plötzlich sah ich unsere Hände sich begegnen, plötzlich spürte ich seine Finger auf meiner Hand und seine Lippen auf meinem Mund. Das schöne Gefühl, das ich empfand, als er mich küsste, perlte wieder durch meinen ganzen Körper. Fühlte sich so nicht Glück an? Ich wusste es wirklich nicht mehr.
Ich sank in meinen Sessel zurück, ließ das Telefon los, schloss seufzend die Augen. Bilder gingen mir durch den Kopf: Grals und ich im Bett. Nicht brav nebeneinander, o nein, sondern ineinander verschlungen und uns wild hin und her wälzend. Das sah gut aus, das beschleunigte meinen Atem, und eine Hitze, die mich erschreckte, pulsierte in meinem Unterleib.
Weg mit den Bildern! Weg mit diesen Empfindungen! Nicht mehr an diesen Kerl denken, nie mehr!
Ich griff erneut zum Telefon, wählte Jens’ Nummer. Schluss jetzt, Nägel mit Köpfen mussten her. Das Freizeichen – kerzengerade saß ich auf der Kante meines Sessels. Ich würde „ja“ sagen und alles würde gut sein. Für immer und ewig.
„Kanter?“
„Ich bin’s, Greta.“ Ich holte tief Luft, und er erklärte mir, wie sehr er sich über meinen Anruf freue. „Ich brauche noch eine Woche.“ Es kam mir so über die Lippen. „Tina hummelt nach mir. Sie wünscht sich ein Wochenende nur mit mir.“ Ich hörte mir selbst zu und staunte. „Gib mir noch Zeit, bis Samstag in acht Tagen.“
Schweigen. Fünf, sechs Sekunden lang, dann: „Darf ich wenigstens nach der Tendenz fragen?“
„Ich ..., ich bin so gerührt von deinem Antrag, Jens ..., ich glaube ich könnte mir gut vorstellen an deiner Seite ...“ Wie von selbst hatte meine Hand zu einem Stift gegriffen, wie von selbst entstand ein Muster aus Girlanden auf meinem Rezeptblock. „... bitte, lass mir noch Zeit. Am übernächsten Wochenende bin ich soweit. Dann sehen wir uns, ganz bestimmt. Dann regeln wir alles.“
„Am Samstag in acht Tagen?“
„Ja, am übernächsten Samstagabend.“
„Versprochen?“
„Versprochen, Jens.“
Das war’s. Eine unbeschreibliche Erleichterung beflügelte mich. Jedenfalls, was Jens Kanter betraf. Der Paketbote aber, dieser Pit Grals, ging mir nicht aus dem Kopf. Im Gegenteil: In beinahe jeder freien Minute kreisten meine Gedanken um ihn.
Er hat mich verhext , dachte ich, er hat mich mit seinem verdammten Kuss ganz und gar verhext .
Das Wochenende verbrachte ich dann wirklich mit Tina. Fröhliche Stunden erlebten wir zusammen. An den Abenden, wenn Tina im Bett war, versuchte ich mit mir selbst ins Reine zu kommen. Ich schlief nicht gut und nicht wirklich viel an diesem Wochenende.
Am Montagmorgen stand ich auf und wusste, dass ich Jens kein Jawort geben konnte. Die Vorstellung fühlte sich einfach nicht rund an.
Und der Paketbote? Mein Hexer? Pit Grals?
Vergiss ihn , dachte ich. Oder lerne ihn näher kennen .
*
Ich wartete. Auf eine UPS-Sendung. Auf seine Stimme draußen vor der Rezeption. Darauf, dass Frau Busch ihn in mein Sprechzimmer brachte. Und mich selbst so zu erleben, als sehnsüchtig Wartende, ärgerte mich.
Ein anderer, jüngerer Bote brachte die
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