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Sturmflut mit Schokoladenengel

Sturmflut mit Schokoladenengel

Titel: Sturmflut mit Schokoladenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dora Tauer
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Pakete in dieser Woche und Pit Grals ließ seinen Termin bei mir verstreichen, ohne anzurufen.
    Gut so , dachte ich, sehr gut, jawohl!
    In Wirklichkeit fand ich gar nichts mehr gut.
    Am Donnerstagvormittag dann, zwei Tage vor dem Samstag, an dem ich Jens die Wahrheit sagen musste, fand ich unter der Praxispost einen Din-A-4-Umschlag. Greta Ballhaus persönlich las ich auf der Adresse und auf dem Absender: Pit Grals .
    Ich glaube, meine Hände zitterten, als ich ein großformatiges Foto aus dem Umschlag zog. Das Foto eines Gemäldes. Ein ähnliches Motiv wie in Tinas Matheheft, nur in Farbe und deutlich surrealistischer; die Frau saß nackt auf ihrem Thron, und in der Pose einer griechischen Göttin.
    Und mit meinen Gesichtszügen.
    Ich holte Luft, um meine Empörung hinaus zu schreien – und musste dann doch lachen.
    Die Einladung zu einer Vernissage lag dem Foto bei. Ich las murmelnd: „Darf ich Ihnen das Original schenken, Frau Dr. Ballhaus? Wenn Sie es sehen wollen, kommen Sie zur Eröffnung meiner Ausstellung am Samstag um achtzehn Uhr. Ich würde mich sehr freuen. Pit Grals ...“
    Ich war sprachlos. Ein Maler! Hätte ich’s mir nicht denken können? Damit also schlug er sich die Nächte um die Ohren!
    Ich betrachtete das Foto. Der Frosch zu Füßen der stolzen Frau war langmähnig und ähnelte auch sonst einem Löwen; und er war auch beinahe so groß wie ein Löwe. Und lächelte wie ein Mann, den weder Sorgen noch Selbstzweifel plagen.

    *

    Jens zeigte sich sofort angetan von dem Gedanken, am Samstagabend erst einmal eine Vernissage zu besuchen. Zumal er den Künstler persönlich kannte. „Der hat neulich in Berlin ausgestellt“, erzählte er. „Öl hinter Glas – so was machen nur Perfektionisten. Sogar der Oberbürgermeister hat ein Bild gekauft.“
    Unwillkürlich suchten meine Blicke die Menschenmenge in der großen Galerie nach der braunen Kluft eines UPS-Mannes ab. Pit trug dann einen weißen Anzug über schwarzem T-Shirt. Ich erkannte ihn trotzdem sofort.
    Wir begrüßten uns stumm und mit langem Händedruck und gaben Jens, der uns wortreich miteinander bekannt machte, mit keiner Geste zu verstehen, wie überflüssig das war.
    Aus der Laudatio erfuhr ich etwas über Hinterglasmalerei: Man beginnt mit dem Vordergrund, malt ihn von hinten auf das Glas, trägt danach Schicht für Schicht auf – bis zu den letzten Feinheiten des Hintergrunds. Eine Sisyphosarbeit. An jedem Bild hatte Pit Grals Monate lang gearbeitet.
    Jetzt wusste ich, was ihm den Schlaf raubte. Und seine Kraft erschöpfte. Und vor allem wusste ich jetzt etwas über sein Wesen: ein geduldiger, gründlicher und hartnäckiger Mensch musste er sein; nur so einer konnte derart komplizierte Bilder malen.
    Einige seiner großformatigen Bilder waren atemberaubend schön. Viele Porträts darunter, alle vor surrealistischer Landschaft. Neben dem Bild mit der thronenden Göttin, dessen Foto er mir geschickt hatte, klebte ein Schild an der Wand: Unverkäuflich.
    Jens Kanter, dem das Bild sofort gefiel, fragte danach. „Die Göttin nämlich“, sagte er, „erinnert mich an jemanden.“
    „Das habe ich verschenkt.“ Pit Grals sah mir ins Gesicht. „An eine Frau, die ich liebe.“ Ich hielt den Atem an. Die Farben des Bildes verschwammen vor meinen Augen. Ich wandte mich ab und wankte zum Getränketisch.

    *

    Später saß ich mit Jens in einer Weinstube. Er bestellte eine Flasche Bordeaux. Dass ich mit ihm dorthin gefahren war, verstand er wohl schon als gutes Omen und rechnete mit meinem Jawort, denn er zog eine Schatulle aus der Tasche seines Jacketts und stellte sie geöffnet vor mich hin. Zwei goldene Ringe.
    Ihr Anblick schnürte mir die Kehle zu. Am liebsten wäre ich im Boden versunken. „Es tut mir unendlich leid, Jens ...“ Ich suchte nach Worten. „Ich habe zwei Wochen lang nachgedacht – es geht nicht. Ich kann nicht ...“
    Er wurde bleich, klappte die Schatulle wieder zu, steckte sie weg. „Darf ich fragen, warum?“ Tonlos und gepresst klang seine Stimme auf einmal. Manchmal sprechen Patienten so, wenn ich ihnen eine schlimme Diagnose eröffnen muss.
    „Ich liebe einen anderen Mann.“ Als es heraus war, fühlte ich mich so erleichtert, dass ich glaubte, mich vom Stuhl lösen und losfliegen zu können.
    Eine Zeitlang schwiegen wir. Er müsse jetzt allein sein, sagte Jens schließlich, stand auf und verabschiedete sich. Ich nippte an meinem Wein und kostete das Gefühl aus, keine Entscheidung mehr treffen zu müssen.
    Und

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