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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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häufiger auftauchen musste, als der Seehund es tat. Das Gefühl der Kälte, die meinen Körper umfangen hielt, war ungleich herrlicher als in Seehundgestalt. Ich tauchte hinab bis zum Grund, fing eine Scholle und suchte nach einem Versteck, um sie in Ruhe zu verspeisen. Die Orcas, gerade noch erpicht auf meine Nähe gewesen, schenkten mir plötzlich keine Beachtung mehr und strebten mit den kraftvollen Schlägen ihrer Fluken hinaus ins tiefere Wasser. Anscheinend war ihnen der Duft eines besonders fetten Happens in die Nase gestiegen. Oder ich hatte sie zu lange warten lassen und jetzt wollten sie mir mit der abrupten Flucht ihre Verstimmung demonstrierten.
    Gemächlich ließ ich mich über den Grund treiben und sah mich um. In dieser Gegend gab es unzählige Höhlen und Nischen in einem Labyrinth aus Felsen und Korallenbänken. Fischschwärme suchten hier Schutz für die Nacht, Kraken pirschten über Felder aus scharfen Muscheln und ein Heilbutt, breiter als ich lang war, ruhte gut getarnt auf einem sandigen Flecken Meeresgrund. Fischerboote kamen nicht hierher, weil es zu viele Felsen gab, an denen ihre Netze hängen bleiben konnten. Die Tiere wussten das und tummelten sich in Massen im Wasser, um wenigstens eine Weile sicher zu sein, bevor der Hunger oder die Räuber des Meeres sie dazu zwangen, die Flucht anzutreten.
    So wie hier hatte es in den Zeiten vor der großen Plünderung überall ausgesehen. Überall Lebendigkeit. Riesige Schwärme. Massen an Seesternen und Muscheln, die den Grund bedeckten.
    Als ich einen Felsen voller Seenelken umrundete, tauchte eine riesige, rote Koralle vor mir auf, unter der Gezeitenströmungen den Sand fortgewaschen hatten. Wie ein Baldachin ragte sie über mir auf, schien mich regelrecht einzuladen, eine Weile unter ihren Armen zu entspannen. Ich ließ mich in die Mulde darunter sinken, aß meine Scholle und beobachtete den Glanz der Oberfläche.
    Fast schlief ich über dem Spiel des Nachtschimmers auf den Wellen ein, dessen hypnotischer Wirkung ich nie lange widerstehen konnte. Doch das Röhren eines Fischerbootes, das seinen nächtlichen Fangzug begann, klärte meine Gedanken. Der Drang, die Pläne der Menschen zu durchkreuzen, ließ mich augenblicklich hochfahren. Aber nicht nur die noch immer schmerzende Narbe an meinem Oberschenkel hielt mich davon ab, mein Fell zu holen, mich zu verwandeln und dem Lärm zu folgen. Gestern hatte ich ein Gespräch auf einem der Boote belauscht, das sich um den Abschuss der Seehunde drehte. Netzräuber nannten die Fischer meinesgleichen. Diebe und Schädlinge. Es sei an der Zeit, endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Die Verluste seien nicht länger tragbar, zu viele Netze waren zerbissen worden.
    Meine Entrüstung darüber, dass Menschen die angestammten Bewohner der Meere verurteilten und selbst ihre Raubzüge weiterführten, war Grund für meine Verletzung gewesen.
    Ich war zu unvorsichtig geworden. Zu zornig.
    Wütend schleuderte ich das Schollenskelett von mir und schwamm zurück an die Oberfläche. Meine Lungen schmerzten, als ich sie mit Luft füllte. Der Wind war so stark und schneidend geworden, dass er die Gischt in winzige Eissplitter verwandelte.
    Fern am Horizont tanzten die Lichter des Fischerbootes auf den Wellen. Klein und verletzlich, beinahe lächerlich, und doch besaßen die Netze und Gewehre der Menschen so viel Macht über das Meer.
    Wenn ich jetzt zu ihnen schwamm und ihre Pläne durchkreuzte, würden sie sich bitter an meinesgleichen rächen. Ich wusste, wie ein Meer voller Blut schmeckte.
    Nein, nicht noch einmal.
    Aus dem Dunkel der Tiefe tauchte das Orcaweibchen auf, brach dicht vor mir durch das Wasser und spie einen Nebel feiner Gischt über mir aus. Sie spürte meine Wut und wollte mich trösten, doch ihr Atem roch nach frischem Blut und Fleisch und riss Erinnerungen an die Oberfläche, die ich gerne vergessen hätte.
    Schuldbewusst umkreiste sie mich, sang und pfiff und forderte mich so sehnsüchtig auf, mit ihr zu schwimmen, dass ich ihren Wunsch nicht ausschlagen konnte. Kaum zog ich mich auf ihren Rücken und ergriff die Finne, warf sie ihren Körper auch schon herum und schwamm dem Sichelmond entgegen, der safrangelb über dem Horizont hing. Der Gefährte des Weibchens folgte uns, kurz darauf tauchten links und rechts von uns weitere sechs Orcas auf und glitten dicht unter der Oberfläche dahin, lautlos wie schwarzweiße Geister.
    Die Zeit verstrich, während wir einer sanften Strömung folgten. Der Wind

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