Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
Vom Netzwerk:
sehr für dich.“

Kapitel 7
    Wie ich die Zeit stillstehen ließ
    „Wind ist der Welle lieblicher Buhler,
Wind mischt vom Grund aus schäumende Wogen.
Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind.“
Johann Wolfgang v. Goethe
    ~ Mari ~
    M it einer Jeans, einem taubenblauen T-Shirt und schwarzer Unterwäsche in den Händen saß ich auf einem Stein dicht an der Brandung und wartete auf Louan. Falls er nicht kam, und diese Möglichkeit war nicht unwahrscheinlich, würde ich es akzeptieren. Keine Besuche mehr auf der Insel, es sei denn, er wollte es. Kein Suchen mehr, falls er wieder verschwand. Der nächste Schritt gehörte allein ihm.
    Den ganzen Tag lang hatte es geregnet, der Sand war nass und schwer, die Wolken in der Dämmerung von dunklem Grau und Violett. Mit jeder verstreichenden Minute wurde es kälter, bis es sich anfühlte, als wäre der Sommer ohne Übergang dem Winter gewichen.
    „Komm“, flüsterte ich. „Komm zu uns.“
    Und er kam.
    Das Fell an seine Brust gedrückt, entstieg er im letzten Dämmerungslicht den Wellen.
    Mehr denn je begriff ich, wie fremdartig er wirklich war. Obwohl ich akzeptiert hatte, was er war und was ihn ausmachte, lief es mir doch eiskalt den Rücken hinunter, als er nackt und geschmeidig den Wellen entstieg.
    So selbstverständlich.
    So vollkommen natürlich in seiner Unwirklichkeit.
    „Zieh das hier an.“ Ich reichte ihm die Kleidung. „Mein Dad hat was dagegen, wenn du nackt am Tisch sitzt.“
    Sein Lächeln war dürftig. Er schien nervös zu sein, schlüpfte hastig in die Unterwäsche, stieg in die Jeans und schnupperte prüfend am T-Shirt, ehe er es anzog. Wie menschlich er plötzlich aussah. Dads alte Sachen standen ihm ausgezeichnet, und meine Mutmaßung, dass Blautöne ihm am besten standen, stellte sich als absolut richtig heraus.
    „Bereit?“
    Louan nickte. Er folgte mir wie an jenem Abend, als ich ihn das erste Mal in unser Haus geführt hatte, und wie damals stand Dad im Wohnzimmer parat und begrüßte meinen Selkie mit einem Blick, der schwer zu deuten war. Ich glaubte brennende Neugier zu erkennen, Misstrauen, Faszination und Vorsicht. Er starrte auf Louans nackte Füße, dann auf seine tropfnassen Locken, räusperte sich zweimal und reichte ihm schließlich die Hand.
    „Willkommen. Wie geht es dir? Alles okay?“
    Louan warf mir einen unsicheren Blick zu. „Ja“, antwortete er zögernd. „Danke für die Einladung.“
    „Frierst du nicht?“
    „Nein.“ Sein Lächeln war entwaffnend.
    Dad wurde rot, hob in einer hilflosen Geste die Arme und nickte zum Gewächshaus hinüber. „Geht doch schon mal rüber. Das Essen braucht noch eine Weile. Wenn du willst, Mari, führe unseren neuen Freund doch ein bisschen herum.“
    „Eine wunderbare Idee. Komm, ich zeig dir alles.“
    Ich nahm Louans Hand und führte ihn hinüber in unser Refugium.
    Dad starrte uns fassungslos hinterher.
    Feuchte, duftende Tropenluft hüllte uns ein, als ich die Glastür des Gewächshauses hinter uns schloss.
    Mein Selkie war augenblicklich Feuer und Flamme. Er löste sich von mir, huschte hierhin und dorthin, schnupperte und befühlte, studierte die farbenfrohen Blüten und wurde zunehmend gelöster.
    „Gefleckter Schierling.“ Vorsichtig berührte er die weißen Blütendolden. „Mit seinem Saft hat man Sokrates hingerichtet. Kennst du Sokrates?“
    Ich nickte und verkniff mir ein Grinsen. Louans Begeisterung hatte etwas Kindliches an sich. Etwas absolut Unschuldiges.
    „Wenn du aus dem Schierlingsbecher trinkst“, erzählte er weiter, „steigt von den Füßen her eine Lähmung auf. Sie kriecht langsam höher und höher, bis zu bei vollem Bewusstsein erstickst. Ein grausamer Tod. Und er dauerte manchmal Stunden.“
    „Du weißt viel über solche Dinge.“ Während Dad den Tisch im Wintergarten deckte, nahm ich wieder Louans Hand und führte ihn durch einen Anbau, der allerlei Kräuter, Gift- und Heilpflanzen beherbergte. Immer wieder musste ich innehalten und ihn betrachten. Die alte Jugendkleidung meines Vaters stand ihm ausgezeichnet. Auf der einen Seite gab es ihm etwas hinreißend Normalsterbliches, auf der anderen Seite untermalte seine Maske die Tatsache, was das hier in erster Linie war: Der klägliche Versuch einer Tarnung.
    „Florence besaß auch ein Gewächshaus.“ Louan zog mich hinüber zu der gelben Engelstrompete und strich mit der Spitze des Zeigefingers über eine der großen, glockenförmigen Blüten.

Weitere Kostenlose Bücher