Sturmherz
himmelschreiender Blödsinn. Dieses Mädchen und ihr Vater logen, dass sich die Balken bogen.
„Das Video ist echt“, keifte sie zurück. „Er hat gesagt, der Name seines Komplizen sei Tom, nicht wahr?“
Aaron nickte.
„Aber er hieß Robin. Klar soweit! Robin, nicht Tom. Dieser Junge ist alles, nur kein gewöhnlicher Mensch. Und verdammt noch mal, wenn ich das nächste Mal sage, du sollst schießen, dann tust du es. Und zwar sofort. Oder ich sorge dafür, dass du demnächst unter einer Brücke schlafen darfst.“
„Ach ja?“ Aarons plötzlich auftauchende Willenskraft machte sie fassungslos. „Erstens kannst du sein Aussehen nicht als Beweis nehmen. Was sagt das schon aus? Dass er auf einem Laufsteg in Mailand besser aufgehoben wäre als auf dieser Insel am Ende der Welt? Und zweitens kannst du nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass der Robin, der dir das Video zugespielt hat, auch wirklich derjenige war, der es aufgenommen hat. Vielleicht hat er es von einem Freund namens Tom und gibt es als seine Aufnahme aus, um berühmt zu werden.“
„Rede keinen Blödsinn. Wir waren so kurz davor. Wir hätten ihn eingesackt, wenn diese beiden Idioten nicht gekommen wären. Eine winzige Probe, und ich hätte dir bewiesen, dass ich recht habe. Lass mich zurückgehen. Sofort! Diesem Gör und ihrem Esel von Vater zeige ich es schon.“
Sie zog, zerrte und fluchte, doch Aaron schüttelte den Kopf und schleifte sie weiter. Hoch zum Jeep. Hinter ihr am Strand standen der Mann und das Mädchen dicht beieinander und verfolgten sie mit Blicken, zu ihren Füßen kauerte der Selkie. Die ultimative Gelegenheit war ihr in den Schoß gefallen, nur um letztlich grandios zu scheitern. Verdammt, verdammt, verdammt.
Es wäre so einfach gewesen. So wunderbar einfach. Wenn diese hirnverbrannten Nichtsnutze nicht im falschen Moment am falschen Ort aufgetaucht wären.
„Die können uns in den Knast bringen“, redete Aaron auf sie ein. „Ist dir das klar? Du hast mit einem Gewehr auf einen Jungen gezielt. Das kann uns teuer zu stehen kommen. Jetzt hör mir mal genau zu. Es mag ja sein, dass die Aufnahme echt war. Aber zuallererst brauchen wir etwas Hieb- und Stichfestes. Stell dir vor, wir entführen ihn, und im Anschluss kommt raus, dass er ein normalsterblicher Mensch ist. Damit wäre alles aus. Unsere Karriere, unser Leben, unser Ruf. Alles.“
„Es gibt keine Zweifel.“ Sie war kurz davor, zu hyperventilieren. Was bildete sich dieses Arschloch ein? Sie war im Rahmen dieser Mission seine Vorgesetzte. Sie stand in der Hierarchie weit über ihm, und er behandelte sie wie ein Kleinkind. „Er ist kein Mensch. Das sieht man auf den ersten Blick, wenn man Augen im Kopf hat. Dieser Mann und sein Balg haben nichts gegen uns in der Hand, weil der Selkie offiziell nicht existiert. Die werden den Teufel tun, uns anzuzeigen. Denn das würde ihr Wunderwesen in das Licht der Öffentlichkeit rücken. Sie müssten erklären, warum er keine Papiere besitzt, und da sie es nicht erklären können und ganz sicher keinen Fälscher zur Hand haben, werden sie die Klappe halten. Klar soweit? Und was ist mit dem, was er vorhin mit mir getan hat? Verdammt noch mal, lass mich auf der Stelle los, sonst sorge ich höchstpersönlich dafür, dass du in hohem Bogen aus der Uni fliegst. Und zwar mit einem Arschtritt als Abfindung.“
„Beruhige dich, Ruth.“
Dieser Mistkerl zeigte sich wenig beeindruckt. Stattdessen blieb er stehen und umfasste mit widerlicher Sanftheit ihre Handgelenke, als hätte er geahnt, dass er anderenfalls seine Zähne aus dem Sand hätte aufsammeln können. „Was er mit dir getan hat, war etwas nicht Greifbares. Die Sache ist zu heikel, um irgendwas zu überstürzen. Letztendlich geht es hier um Entführung und Freiheitsberaubung, machen wir uns nichts vor. Du kannst nicht einschätzen, was dieser Mann tun oder nicht tun wird. Oder welche Beziehungen er hat oder nicht hat. Wir müssen uns hundertprozentig sicher sein, dass es sich bei dem Jungen um ein nichtmenschliches Wesen handelt. Hör zu, wir bleiben in seiner Nähe. Wir beobachten jeden seiner Schritte. Sobald wir den Beweis haben, dass es sich tatsächlich um einen Selkie handelt, sind mir alle Mittel recht. Aber bis dahin ist er einfach nur ein normaler Jugendlicher, der gemeinsam mit einem Freund ein Video gefälscht hat. Und du wirst den Teufel tun, ihn auf Geratewohl anzugreifen. Wir müssen vorsichtig sein, okay? Sonst endet das hier alles schneller, als uns
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