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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Winde kreischend und knirschend das Netz einholte, schmiegte ich mich in Louans Arme, lauschte dem Schlag seines Herzens und bat unser Schicksal um mehr Zeit.
    Viel mehr Zeit.

    Das Lagerfeuer malte einen flackernden Kreis auf den Sandstrand, tanzte über Tanghaufen, Klippen und seepockenbedeckte Felsen. Acht Mädchen und zwei Jungen drapierten Schlafsäcke, Isoliermatten und Rucksäcke möglichst sinnlos um das Feuer herum. Damit war meine gesamte Klasse an diesem Strand vertreten.
    Louans Hand drückte die meine, als zehn Augenpaare sich auf uns hefteten. Täuschte seine Maske aus in sich ruhender Stärke? Hatte er darunter mehr Angst, als er mir je eingestehen würde? Nein, es schien nicht so. Alles, was ich aus seiner Miene las, war Neugier. Wir hatten uns an diesem Abend für einen Partnerlook entschieden, was meine Nähe zu ihm noch deutlicher machen sollte. Zur Bluejeans trugen wir ein weißes Hemd, Lederbänder an den Armen und einen silbernen Anhänger um den Hals. Louan seine Silbermuschel, ich das keltische Symbol für Unsterblichkeit. War ich abergläubisch geworden? Vielleicht. Immer wieder ertappte ich mich dabei, mich mit Symbolen zu umgeben, die Dauerhaftigkeit umschrieben. Die offene Dreifalt, der Lebensbaum, Ammoliten, Runen und Hieroglyphen. Ich malte sie, kaufte sie als Anhänger, Armband oder Magnet, als könnte ich damit irgendwelche Mächte beschwören, mir Unsterblichkeit zu verleihen.
    Louan schien sich an den Blicken, die ihn musterten, nicht zu stören. Ein Lächeln hob seine Mundwinkel, während er Hände schüttelte und die obligatorischen, in unserem Klassenverband freimütig verteilten Wangenküsse tapfer entgegennahm. Er erinnerte mich an einen Besucher, der in ein fernes Land gereist war, und nun voll offener Neugier dessen Eigenarten studierte.
    Seine Wirkung war wie erwartet niederschmetternd. Ich hatte mit einigem gerechnet, nicht aber mit den verstörten, entrückten Blicken sämtlicher Anwesender, die Louan begafften, als hätte er sich aus einer funkelnden Wolke herausmaterialisiert. So mochte man sich Menschen vorstellen, die den Gesang der Sirenen vernommen hatten.
    Körnchen aus eisiger Furcht nisteten sich in meinen Eingeweiden ein.
    Läge es in seiner Macht, sie alle ins Meer zu locken? Warteten ihre Seelen nur darauf, verführt und gebannt zu werden? Angesichts der verzauberten Mienen überkam mich das Gefühl, etwas hätte den Lauf der Zeit eingefroren und in eine zarte Membran aus Frost gehüllt. Eine dunkle Ahnung strich durch meine Seele. Ich dachte an den Schnee, der in der Nacht unseres ersten Zusammentreffens gefallen war. Und an die Tropfen dunklen Blutes darin.
    „Mari!“ Alice packte mich am Kragen, kaum dass Louan sich am Feuer niedergelassen und die braune Leinentasche, in der sich sein Fell befand, sorgsam in seinem Schoß verstaut hatte. „Komm mal mit.“
    Sie zerrte mich zu einem der Felsen, drückte mich dagegen und setzte mir den Zeigefinger auf die Brust. Wie immer zu solchen Anlässen sah sie anbetungswürdig aus. Die braunen Locken fielen bis zu den Hüften hinab, ihre ebenso braunen Augen waren sorgsam mit malachitgrünem Lidschatten untermalt. Vermutlich hatte dieses petrolfarbene Kleid ein Vermögen gekostet. Alice war wie meine Mutter. Sie passte nicht hierher und flatterte wie ein verirrter Paradiesvogel durch das raue Land.
    „Wo hast du den denn aufgetrieben?“ In ihrem Blick funkelte ein wildes Feuer. So sah Alice aus, wenn sie darauf aus war, Beute zu schlagen. Grimmig und entschlossen wie eine Wölfin. Sie als Freundin zu bezeichnen, wäre übertrieben gewesen. Genau genommen konnte ich niemanden in meiner Klasse als echten Freund bezeichnen. Dafür war ich zu oft und zu gerne allein.
    „Er fiel mir …“, ich überlegte, „praktisch vor die Füße.“
    „Wo?“, wisperte Alice. „Wie?“
    „Am Strand. Wir trafen uns vor ein paar Wochen.“
    „Er fiel dir vor die Füße wie ein gefallener Engel.“ Alice legte die Hände auf ihre Brust und entließ einen theatralischen Seufzer. „Das ist unglaublich romantisch. Und er ist umwerfend. Wirklich, Mari. Ich hätte meine Seele verkauft, um ihn in mein Bett zu bekommen.“
    „Alice!“
    Sie kicherte hinter vorgehaltener Hand. „Was denn? Wir sind alt genug. Hast du seine Augen gesehen? Sie sind pechschwarz, oder? Schwarze Augen. Oh Gott.“
    „Natürlich habe ich seine Augen gesehen. Wir sind seit einem Monat zusammen.“
    „Du Glückliche. Habt ihr noch nicht … ich meine … oh

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