Sturmjäger von Aradon - Magierlicht - Nuyen, J: Sturmjäger von Aradon - Magierlicht
alten Magierfamilie, es ließ sich nicht leugnen.
Während sie langsam durch die ersten Wolkenschleier schwebten, sah sie beinahe ein wenig neidisch zu Nova hinüber. Kein Wunder, dass er so selbstsicher war. Immerhin musste er sich für seine Eltern nicht schämen: eine hochrangige Magierin als Mutter, ein berühmter Sturmjäger als Vater, darauf konnte man stolz sein … Vielleicht war Meisterin Medeah keine fürsorgliche Mutter und Kapitän Nord hatte inzwischen ein ernsthaftes Problem mit dem Trinken – trotzdem hatte Nova keine schlechten Karten gehabt.
Das erste Mal seit langer Zeit wurde Hel wieder bewusst, dass sie keine Eltern hatte. Nicht dass sie das vergessen könnte – aber man dachte eben nicht ständig an die Leere, die man da hatte, wo andere Geschichten, Menschen, ein Zuhause hatten. Irgendwann war die Sehnsucht nach Antworten für sie in den Hintergrund getreten. Jetzt, ganz plötzlich, sprangen uralte Fragen in ihr auf: Wer waren ihre Eltern gewesen? Hatten sie sich sehr geliebt? Waren sie schön gewesen?
Hel schüttelte diese Überlegungen energisch ab. Wie lächerlich! Wunderschön konnten ihre Eltern sowieso kaum gewesen sein, der Beweis blickte ihr aus jedem Spiegel entgegen.
Als die Taube ihre geplante Flughöhe erreicht hatte und ruhig durch die Nieselwogen glitt, lehnte sich Hel an die Reling im Bug des Schiffes und beobachtete, wie die vier Türme Aradons hinter Nebeln verblassten. Sie sahen aus wie verschworene Magier in Kapuzenmänteln, die sich fortschlichen. Allwissend und schweigend. Die namenlose Abneigung, die sich oft beim Anblick der Türme in ihr geregt hatte, verwandelte sich jetzt beinahe in Wut. Darüber, dass Geheimnisse emsig gehütet wurden in einer Welt, in der ohnehin zu viel Ratlosigkeit herrschte. Darüber, dass alle und alles stumm blieb und ihre Eltern ihr nichts hinterlassen hatten, keine Erinnerung, kein Wort. Nicht einmal einen Namen.
Der Tag blieb verregnet. Immer wieder peitschten heftige Schauder gegen die Bullaugenfenster, dann legten Nebel und Wolken ihre Arme um das Schiff und löschten die Welt unter ihnen aus, bis sie reglos im Nichts zu schweben schienen.
Hel, Relis, Berano und Caiden bereiteten in der Küche das Mittagessen vor. Kelda war anfangs bei ihnen gewesen und hatte Holz im Ofen aufgeschichtet, war aber bald ohne Erklärung und unbemerkt verschwunden. Arill hatte sich gleich nach dem Abflug zurückgezogen, um den verpassten Schlaf der letzten Nacht nachzuholen, ebenso wie Kapitän Nord und Meister Olowain, die sich ohnehin nie in der Küche blicken ließen. Auch Nova war auf sein Zimmer geschlichen – mit der Bemerkung, in Dichterstimmung zu sein. Hel fragte sich, auf welche Art die Begegnung mit Aricaa ihn wohl inspiriert hatte. Doch sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie das Treffen verlaufen war.
Ein Hackmesser flog an ihr vorbei. Ihr blieb das Herz stehen. Berano fing es geschickt in der Luft, schenkte Relis, die das Messer geworfen hatte, ein Lächeln und begann, eine Keule zu zerlegen. Manchmal vergaß Hel, dass die drei kichernden Freunde auch gefährliche Krieger waren.
Sie scherzten über Harlem, die man vorhin einstimmig aus der Küche verbannt und zur ersten Trollaufsicht geschickt hatte. Es wurde ein Abkommen geschlossen, Harlem mit vereinten Kräften vom Herd fernzuhalten. Sie hatte doch tatsächlich vorgeschlagen, Glumpsklöße zum Mittagessen zu machen. Keiner wusste so genau, was Glumpsklöße waren, aber es gab heftige Spekulationen.
»Und ob die aus Regenwürmern bestehen!«, beharrte Relis. »Harlem hat mir erst kürzlich von Wurmklößen in Essig vorgeschwärmt …«
Ein Schauder jagte Hel den Rücken hinab. Nein, sie durften die Zwergin wirklich nicht an die Kessel lassen.
Als das Mittagessen fertig war, ging Hel von Tür zu Tür, um den anderen Bescheid zu sagen. Nur Nova war wach und erschien. Bei Tisch versuchte sie beiläufig etwas aus ihm herauszubekommen, doch er war offenbar nicht zum Reden aufgelegt. Schweigend schaufelte er sich fünf Löffel Gemüseeintopf in den Mund, dann schob er die noch halb volle Schüssel von sich weg.
»Schon ein Gedicht geschrieben?«, fragte Hel, als er Anstalten machte, zu gehen.
Er zuckte mit den Schultern. Dann sah er sie an. »Vielleicht lass ich es dich lesen. Später.« Er stand auf.
»Krieg ich’s auch zu lesen?«, säuselte Caiden und grinste, dass sämtliche Brotkrümel aus seinen blonden Bartstoppeln rieselten.
»Dafür müsstest du erst mal
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